Montag, 2. März 2015

Interaktivität, Multimedialität und Hyperlinkstruktur: Wie nutzen die Rezipienten politische Online-Angebote?

Dies ist ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Marcus Maurer, Corinna Oschatz und Jörg Haßler von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz. Sie arbeiten und forschen am Institut für Publizistik. Der vorliegende Beitrag basiert auf Forschungen im Teilprojekt „Digitale Wissensklüfte“ in der DFG-Forschergruppe „Politische Kommunikation in der Online-Welt“.

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Online-Medien wird ein immer größer werdender Einfluss auf die politische Meinungsbildung zugeschrieben. Dies wird in der Regel mit den technischen Vorteilen des Internets gegenüber anderen Massenmedien begründet, insbesondere seiner Multimedialität, Interaktivität und Hyperlinkstruktur, die dazu führen, dass die Rezipienten ohne großen Aufwand vielfältige Informationen aus unterschiedlichen Quellen nutzen können. Diese Vorteile werden allerdings nur relevant, wenn die Rezipienten die angebotene Linkstruktur sowie die multimedialen und interaktiven Webseitenelemente auch wahrnehmen und nutzen. Inwieweit dies der Fall ist, ist bislang aber kaum empirisch untersucht worden.

Wir führen deshalb im Rahmen des Teilprojekts „Digitale Wissensklüfte“ der DFG-Forschergruppe „Politische Kommunikation in der Online-Welt“ eine Reihe von Experimenten durch, die sich u.a. mit der Frage beschäftigen, welche Wahrnehmungs- und Nutzungswahrscheinlichkeiten einzelne Webseitenelemente auf politischen Internetangeboten haben. Wir kombinieren dabei Eye-Tracking-Analysen, die das Blickverhalten der Rezipienten auf den Webseiten erfassen und deshalb ein relativ guter Indikator dafür sind, welche Webseitenelemente die Rezipienten wahrnehmen, mit Logfile-Analysen, die erfassen, inwieweit die Rezipienten die verschiedenen Webseitenelemente nutzen (öffnen, anklicken usw.).

Als Webseitenelemente betrachten wir den zentralen Textartikel, Hyperlinks (im Text, am Seitenrand und im Navigationsbereich), multimediale Elemente (Bilder, Videos, Grafiken, Audiodateien) und interaktive Elemente (Nutzerkommentare, Social-Media-Daten). Im vorliegenden Fall haben wir 34 Probanden unterschiedlicher Alters- und Bildungsgruppen jeweils einen Beitrag zum Klimawandel auf drei verschiedenen Webseiten (tagesschau.de, spiegel.de, gruene.de) gezeigt, die die verschiedenen Webseitenelemente in unterschiedlichen Konstellationen enthielten. Die Probanden konnten unbegrenzt und völlig frei navigieren und somit auch zu anderen Webseiten wechseln. Zudem haben wir ihr Involvement manipuliert: Die eine Hälfte sollte die Webseiten so nutzen, wie sie dies auch sonst tun (eher niedriges Involvement). Die andere Hälfte haben wir darüber informiert, dass wir ihnen im Anschluss noch einige Fragen zum Klimawandel stellen werden (eher hohes Involvement).

Die Eyetracking-Analysen zeigen, dass die Rezipienten die Webseitenelemente mit einer sehr unterschiedlichen Wahrscheinlichkeit wahrnahmen. Wenig überraschend wurde der zentrale Textartikel von jedem Probanden betrachtet. Fast jeder Proband sah wenigstens einen der Links im Navigationsbereich und am Seitenrand sowie eines der Bilder. Grafiken und Videos wurden von rund zwei Dritteln der Probanden erkannt, während Audiodokumente und Social-Media-Daten nur von der Hälfte betrachtet wurden. Die Nutzerkommentare am Ende der Seite fielen sogar weniger als einem Drittel der Probanden auf. Während der zentrale Textartikel von den Probanden sehr lange betrachtet wurde, fielen vor allem die Betrachtungszeiten der interaktiven Elemente so kurz aus, dass man bezweifeln kann, dass ihre Bedeutung erfasst werden konnte.

Balkendiagramm
Schaubild 1: Anteil der Probanden die die Weseitenelemente betrachtet und geöffnet haben


Die Logfile-Analysen zeigen darüber hinaus die Nutzungswahrscheinlichkeiten der Webseitenelemente, die nicht unmittelbar betrachtet werden konnten: Rund ein Drittel der Probanden öffnete mindestens einen Link im Navigationsbereich. Solche Links führen zu Webseiten, die nichts mit dem Thema des Ausgangsbeitrags zu tun haben. Etwas weniger Probanden nutzten Links am Seitenrand, die zu thematisch verwandten Beiträgen führen. Video- und Audio-Dateien wurden von rund jedem fünften geöffnet. Die übrigen Webseitenelemente fanden kaum Resonanz. Jeder fünfte Proband nutzte schließlich gar keines davon. Insgesamt wird folglich deutlich, dass einige der multimedialen, interaktiven und hypertextuellen Elemente der von uns untersuchten Webseiten von den Nutzern bereits gar nicht wahrgenommen wurden. Vor allem war jedoch zu erkennen, dass viele, die die Elemente wahrgenommen haben, sie offensichtlich nicht relevant genug fanden, um sie auch zu nutzen (Siehe Schaubild 1).

Erstaunlicherweise zeigten sich hierbei auch kaum Unterschiede zwischen hoch und niedrig involvierten Probanden. Hoch involvierte Probanden nahmen mit höherer Wahrscheinlichkeit Links am Seitenrand und Bilder wahr. Niedrig involvierte Probanden nutzten deutlich häufiger Links im Navigationsbereich, die thematisch vom Ausgangsbeitrag wegführen. Der deutlichste Unterschied zwischen hoch und niedrig involvierten Probanden war aber die Intensität der Nutzung des zentralen Textartikels. Wie die so genannten Heat-Maps der Eyetracking-Analysen am Beispiel der Webseite der Tagesschau zeigen (Schaubild 2), wurde der zentrale Text von hoch involvierten Probanden deutlich intensiver betrachtet als von niedrig Involvierten (gelbe und rote Flächen).
Screenshot Webseiten
Schaubild 2: Eye-Tracking-Visualisierung bei der Nutzung der Webseiten

 

Fazit


Unsere Befunde müssen vorsichtig interpretiert werden, weil sie bislang nur auf einem einzigen Experiment basieren, das zudem noch nicht vollständig ausgewertet ist. Dennoch zeichnet sich ab, dass Online-Medien von vielen Menschen auch heute noch vor allem als textbasiertes Medium genutzt werden. Multimediale, interaktive und hypertextuelle Elemente, die meist als Ursache des hohen Wirkungspotenzials von Online-Medien angeführt werden, werden von den Rezipienten dagegen oft ignoriert. Dies gilt selbst für Rezipienten mit hohem Involvement, die für Zusatzinformationen im Zweifelsfall lieber zu anderen Webseiten wechseln, um sich dort wiederum textbasiert zu informieren.


Autoren

Prof. Dr. Marcus Maurer
Marcus Maurer ist Professor für Politische Kommunikation am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er leitet das Teilprojekt „Digitale Wissensklüfte“ in der DFG-Forschergruppe „Politische Kommunikation in der Online-Welt“.





Jörg Haßler
Jörg Haßler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehr- und Forschungsbereich Politische Kommunikation am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und im Teilprojekt „Digitale Wissensklüfte“ in der DFG-Forschergruppe „Politische Kommunikation in der Online-Welt“.





Corinna Oschatz
Corinna Oschatz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehr- und Forschungsbereich Politische Kommunikation am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und im Teilprojekt „Digitale Wissensklüfte“ in der DFG-Forschergruppe „Politische Kommunikation in der Online-Welt“.




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