Mittwoch, 1. Juli 2015

Regierungskommunikation online: Zwischen Rechtsvorgaben und Rechtsverstößen

Dies ist ein Gastbeitrag von Marina Aschkenasi. Die Ausführungen sind Auszüge aus ihrer an der Freien Universität Berlin verfassten Masterarbeit mit dem Titel „Regierungskommunikation online. Die Öffentlichkeitsarbeit des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung im Internet unter demokratietheoretischen, rechtlichen und strukturellen Aspekten“. In der empirischen Studie wurde das Kommunikationsangebot des Bundespresseamtes im Internet inhaltsanalytisch untersucht.

Abb. 1 Logo der Freien Universität Berlin

Mit der rasanten Verbreitung des Internets eröffnen sich für die Bundesregierung neue Möglichkeiten, das neue Medium als Instrument für die Öffentlichkeitsarbeit zu nutzen. So betreibt das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA), das als zentrale Institution für Regierungskommunikation gilt, mehrere Internetseiten wie etwa www.bundesregierung.de, www.bundeskanzlerin.de oder den YouTube-Kanal der Bundesregierung. Regierungssprecher Steffen Seibert zwitschert die Regierungspolitik sogar über einen eigenen Twitter-Kanal, die Bundesregierung präsentiert sich und kommuniziert mit Bürgern neuerdings auch auf Facebook. 

Was dabei rechtlich erlaubt ist und wo die Grenzen liegen, ist jedoch bisher ungeklärt. Denn obgleich Regierungskommunikation in Deutschland im internationalen Vergleich stark reguliert ist, stehen rechtliche Vorgaben speziell für die Onlinekommunikation bisher noch aus. Um die Zulässigkeit von Regierungskommunikation im Internet beurteilen zu können, muss also auf rechtliche Vorgaben zurückgegriffen werden, die allgemein für die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung gelten.

Screenshot

Abb. 2 Ausschnitt der zentralen Internetseite der Bundesregierung im Internet, www.bundesregierung.de

  

Rechtliche Vorgaben durch das Bundesverfassungsgericht 


Wichtige Rechtsquellen für die Regierungskommunikation sind neben dem Grundgesetz die als richtungweisend geltenden Einzelfallentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, hier allen voran das Urteil vom 2. März 1977. Diese zeigen, welchen Pflichten, aber auch Einschränkungen, Regierungskommunikation unterliegt. 

Die Analyse der Urteile hat gezeigt, dass die Bundesregierung eine Informationspflicht hat und angehalten ist, aktiv Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Dabei soll sie über eigene Maßnahmen und Vorhaben informieren, den Bürgern aber auch in sämtlichen anderen Lebensbereichen relevante Informationen zur Verfügung stellen. Inhaltlich muss die Information richtig, sachlich, neutral und bei heiklen Themen zurückhaltend formuliert sein. Der informative Gehalt einer Veröffentlichung darf keinesfalls hinter die werbliche Aufmachung treten.

Auch ist es unerwünscht, Regierungsmitglieder in den Vordergrund, vor die neutrale Information zu stellen und so um Sympathie für diese zu werben. Damit verbunden ist auch das Gebot der parteipolitischen Neutralität, demgemäß die Regierung nicht als von bestimmten Parteien getragen dargestellt und über die Opposition nicht herabsetzend geäußert werden darf. Die Bundesregierung darf auch nicht um Wiederwahl der regierenden Parteien werben.

Für die Öffentlichkeitsarbeit in der Vorwahlzeit hat das Bundesverfassungsgericht spezielle Beschränkungen festgelegt. Hier gilt, dass alle beschriebenen Vorgaben, wie etwa die parteipolitische Neutralität, im besonderen Maße zu beachten sind und die Veröffentlichung von Erfolgsberichten untersagt ist. Lediglich akute, neutral gehaltene Veröffentlichungen sind gestattet.


Empirische Untersuchung


Um zu prüfen, ob rechtliche Vorgaben an Regierungskommunikation eingehalten werden, wurde eine quantitative Inhaltsanalyse von Text- und Videobeiträgen durchgeführt, die im Rahmen von aktueller Öffentlichkeitsarbeit auf www.bundesregierung.de veröffentlicht werden.

Als ersten Erhebungszeitraum wurden zwei Wochen vor der Bundestagswahl 2013 gewählt (1.9.2013-14.9.2013). Hierdurch konnte die Öffentlichkeitsarbeit in der Vorwahlzeit analysiert werden. Als zweiten Erhebungszeitraum wurden zwei Wochen im Jahr 2014 (1.11.2014-14.11.2014) gewählt, da die Beiträge in dieser Periode außerhalb der Vorwahlzeit veröffentlicht wurden und so mit den Beiträgen aus dem ersten Erhebungszeitraum verglichen werden konnten. Das Sample umfasste 446 Beiträge, von denen 145 im ersten Untersuchungszeitraum und 301 im zweiten Untersuchungszeitraum veröffentlicht wurden.

Balkendiagramm

Abb. 3 Untersuchte Beiträge aus 2013 (n=145) und aus 2014 (n=301)





Ergebnisse


Die Ergebnisse zeigen, dass die Bundesregierung im Internet ihrer Informationspflicht umfassend nachkommt. 29,2 Prozent der untersuchten Beiträge informierten über ein konkretes politisches Ereignis und 28,0 Prozent über aktuelle politische Vorhaben und Maßnahmen. 10,1 Prozent der Beiträge waren Hintergrundbeiträge zu politischen Themen und in 10,6 Prozent der Beiträge wurde die Aufgabe erfüllt, Informationen über Lebensbereiche der Bürger außerhalb der Politik zur Verfügung zu stellen.

Tortendiagramm
Abb. 4 Hauptfunktion der untersuchten Beiträge in Anteilen (n=446)

Weiterhin wurde überprüft, ob der sprachliche Stil in den Beiträgen sachlich ist. Als Verstoß gelten hier eine nicht neutral gehaltene Sprache oder unangebrachte, bei heiklen Themen nicht zurückhaltende Äußerungen. In 446 Beiträgen kam lediglich eine einzige unsachliche Äußerung vor. Auch wurde überprüft, ob eine reklamehafte Aufmachung regierungsamtliche Information überlagert. Hierfür wurde ermittelt, wie groß der Bildanteil innerhalb der Textbeiträge ist. 


Abb. 5 Bildanteil in den Textbeiträgen in der Vorwahlzeit (n=138), außerhalb der Vorwahlzeit (n=285) und insgesamt (n=423). Videobeiträge (n=23) wurden von der Codierung ausgeschlossen





Im Kontext des Verbots von Sympathiewerbung für einzelne Regierungsmitglieder wurde die Personalisierung in Beträgen gemessen. Die Befunde zeigen, dass eine sehr starke Personalisierung in keinem einzigen der untersuchten Beiträge vorkam, starke Personalisierung in lediglich 2,5 Prozent der Artikel. 


Abb. 6 Gemessener Grad an Personalisierung in Beiträgen in der Vorwahlzeit (n=145) und außerhalb (n=301), fünfstufige Skala von 1=sehr starke Personalisierung bis 5=keine Personalisierung




Die Erfolge der vergangenen Amtszeit der Bundesregierung wurden in zehn Beiträgen in der Vorwahlzeit thematisiert, außerhalb der Vorwahlzeit wurde keine erfolgsbetonende Aussage gefunden.


Abb. 7 Tweet von Regierungssprecher Seibert am 9.11.2014
Gegen das Gebot der parteipolitischen Neutralität wurde in der in Vorwahlzeit in sieben Beiträgen und außerhalb der Vorwahlzeit in sechs Beiträgen verstoßen. So wurde beispielsweise vom Regierungssprecher ein Tweet des SPD-Parteivorstandes retweetet, wodurch die Parteizugehörigkeit des Bundeswirtschaftsministers Gabriel ersichtlich wurde.

Als überprüft wurde, ob die Vorgabe der parteipolitischen Neutralität eingehalten wurde, zeigte sich, dass in der Vorwahlzeit in sechs Beiträgen explizite oder implizite Wiederwahlwerbung vorkam, außerhalb der Vorwahlzeit wurde gegen diese Vorgabe nicht verstoßen. Außerdem wurden in fünf Beiträgen in der Vorwahlzeit und einem Beitrag außerhalb der Vorwahlzeit abwertende Äußerungen über die Opposition identifiziert.

Fazit


Insgesamt wurden im Untersuchungsmaterial 37 Rechtsverstöße identifiziert, wobei in der Vorwahlzeit deutlich mehr Verstöße (29 Verstöße) begangen wurden, als außerhalb (8 Verstöße). 

Abb. 8 Identifizierte Verstöße in Anteilen in der Vorwahlzeit (n=145), außerhalb der Vorwahlzeit (n=301) und insgesamt (n=446)

Diese Befunde offenbaren Schwachstellen innerhalb der Regierungskommunikation bei der Einhaltung von rechtlichen Vorgaben im Internet. Angesichts des Verbesserungsbedarfs könnten Kommunikationsverantwortliche die Ergebnisse dieser Studie als ein Anknüpfungspunkt für die zukünftige Ausrichtung von Regierungskommunikation nutzen. So könnten beispielsweise einheitliche interne Richtlinien für die Kommunikation der Bundesregierung im Internet erstellt oder aber eine zentralen Beratungs- und Kontrollstelle geschaffen werden, die die Rechtmäßigkeit regierungsamtlicher Onlinekommunikation sicherstellt.


Autorin

Marina Aschkenasi
Marina Aschkenasi ist Absolventin des Masterstudiengangs „Medien und Politische Kommunikation“ an der Freien Universität Berlin und arbeitete am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an einem Forschungsprojekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. In ihrer Masterarbeit untersuchte sie empirisch die Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung im Internet unter demokratietheoretischen, rechtlichen und strukturellen Aspekten. 




2 Kommentare:

  1. Manuela Thieme4. Juli 2015 um 12:54

    Danke für den Überblick, ich muss jedoch die Befürchtung hinterlassen, dass Veröffentlichungen, die derart unter Dauerbeobachtung stehen, keinesfalls lesbarer, verständlicher, genauer werden. Im Gegenteil: Die Sprache der Instituationen und Behörden wird dann noch vorsichtiger, allgemeiner, lebloser, um sich gegen alle Eventualitäten abzusichern. Habe den Text vorsichtshalber zweimal gelesen, weil das Fazit etwas anders als die Ankündigung klingt: Es gibt offenbar sehr wenig Verstöße der Regierungskommunikation (zumindest im Untersuchungszeitraum).

    Das einzige Beispiel, das vorgestellt wird, ist der Retweet des Regierungssprechers von Gabriels Hurra-Botschaft zum 25. Jahrestag des Mauerfalls, veröffentlicht im SPD-Design. Vermutlich zählt der Fall gleich mehrmals in der Statistik (unerlaubte Personalisierung, fehlende parteipolitische Neutralität), oder?
    Es müsste auch in diesem Blogbeitrag viel mehr konkret gezeigt werden, was regelwidriges Kommunizieren sein soll. Ist die Wahrnehmung von Sprache, Fotos, Filmen nicht immer subjektiv, sprich in wissenschaftlichen Analysen schwer darstellbar? Es gibt enorme Interpretationsspielräume, wenn es um das Verständnis von halbwegs komplexen Informationen geht. Was der eine als unsachlich und parteiisch empfindet, freut den nächsten, weil es präzise und nachvollziehbar ist.

    Natürlich mag es sinnvoll sein, Regierungskommunikation kritisch zu begleiten und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Blick zu behalten, aber ich wäre sehr froh, wenn dafür nicht gleich die nächste Sprachpolizei-Dienststelle eröffnet wird ;-)

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  2. Marina Aschkenasi4. Juli 2015 um 17:45

    Liebe Manuela,

    vielen Dank für Ihr sehr interessantes Feedback. Ich bin ganz Ihrer Meinung, dass Öffentlichkeitsarbeit, die vielen Restriktionen und Vorgaben unterliegt, einen sehr begrenzten Handlungsspielraum hat. Nichtsdestotrotz ist eine verständliche, bürgernahe und authentische Kommunikation möglich. Das zeigt nicht zuletzt die - meiner ganz persönlichen Meinung nach - sehr gelungene Kommunikation des BPA über die Facebook-Seite der Bundesregierung: facebook.com/bundesregierung.

    Zu Ihrer Frage: Der Retweet der Botschaft des SPD-Parteivorstands dient in diesem Blogbeitrag als ein exemplarisches Beispiel für den Verstoß gegen die Vorgabe der parteipolitischen Neutralität. Die Personalisierung wurde in diesem Fall auf einer fünfstufigen Skala von 1 bis 5 (1=sehr starke Personalisierung, 5=keine Personalisierung) mit einer 4 codiert, schließlich handelt der Retweet von der Freude Gabriels über ein wichtiges gesellschaftlich-politisches Ereignis und nicht etwa von der Freude über privates Glück.

    Zu Ihrer zweiten Frage: Im Codebuch wurden Variablen vor der empirischen Untersuchung ausführlich definiert und scharf voneinander abgegrenzt. Auch was genau einen Regelverstoß darstellt, wurde im Methodenteil festgelegt und im Ergebnisteil umfassend mit vielen Beispielen aus dem Untersuchungsmaterial belegt. Durch dieses regelgeleitetes Vorgehen wurde sichergestellt, dass das Untersuchungsmaterial möglichst intersubjektiv nachvollziehbar codiert wurde und die Ergebnisse der Studie so wissenschaftlichen Gütekriterien entsprechen.

    Leider bietet ein Blogbeitrag lediglich wenig Raum, um eine sehr umfassende Studie darzulegen. Deshalb zeigt dieser Beitrag, wie es zu Beginn im kursiven Eingangstext auch steht, nur Auszüge der tatsächlichen Studie.

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