Wahlbeobachter in den Medien

Donnerstag, 26. Januar 2017

WhatsApp im Wahlkampf: Van der Bellen kriecht dem Wähler ins Ohr

Dies ist ein Gastbeitrag von Johannes Hillje. Er arbeitet als Politik- und Kommunikationsberater in Berlin und Brüssel. Im Jahr 2014 leitete er den Europawahlkampf der Europäischen Grünen Partei

Alexander Van der Bellen vor Österreich-Flagge
WhatsApp-Kanal von Alexander van der Bellen
“Hallo! Mein Name ist Alexander van der Bellen. Und ich möchte Sie ganz herzlich auf diesem neuen Kommunikations- kanal begrüßen.” - Wer Anfang November eine WhatsApp-Nachricht an die Handynummer von Van der Bellens Wahlkampfzentrale schickte, bekam prompt eine Sprachnachricht mit diesen Zeilen zurück. Erst spät im Wahlkampf entschied sich der heutige Bundespräsident Österreichs WhatsApp als Kampagnenkanal zu nutzen. Hat diese Strategie zum Wahlsieg beigetragen?

Van der Bellen gewann bei den Jungwählern hinzu 


So verlockend es sein mag, direkte Zusammenhänge zwischen einer einzelnen Wahlkampfaktivität und dem individuellen Wählerverhalten sind empirisch selten haltbar. Das Wählerverhalten ist zu komplex, von vielschichtigen, manchmal gar irrationalen Motiven getrieben, in keinem Fall aber auf eine einzige Formel zu reduzieren. Dennoch gibt es einige Indizien dafür, dass die Nutzung von WhatsApp ein cleverer und nützlicher Schachzug Van der Bellens war. Allem voran: Bei jungen Männern bis 29 Jahren legte Van der Bellen in der Wiederholungswahl vom 4. Dezember stolze 5% zu. Auch bei Frauen derselben Alterklasse gewann der Grüne nochmals 2 Prozentpunkte von 67% auf 69% hinzu. Es ist diese junge Altersgruppe, die zu den heavy users von WhatsApp gehören. In Österreich nutzen 92% der 15-29jährigen mobilen Internetnutzer Messenger mindestens mehrmals pro Woche. Auch in Deutschland ist WhatsApp führend unter den Kurznachrichtendiensten: 63% der Internetnutzer verwenden die App, bei vielen jungen Deutschen hat der Messenger mittlerweile der klassischen SMS den Rang abgelaufen.

Gegen einen signifikanten Beitrag der WhatsApp-Kampagne zum Wahlsieg Van der Bellens spricht, dass zum Vergleich zu den hohen Fan- und Followerzahlen auf Facebook und Twitter, nur mehrere Tausend Wähler die WhatsApp-Nachrichten abonnierten. Andererseits wurde das Ausmaß des Schneeballeffekts, der sich auf Facebook vor allem durch die Anzahl der “Shares” und auf Twitter durch “Retweets” manifestiert, nicht gemessen. Zum Weiterleiten der Nachrichten, insbesondere der Bilder, Videos und Audio-Botschaften, rief Van der Bellen seine WhatsApp-Community immer wieder auf.

Die Stimme des Kandidaten auf dem Handy 


Begrüßungsbotschaft Van der Bellen
Die Audio-Botschaften wurden speziell für WhatsApp aufgenommen und sind ein mediumspezifisches Phänomen. Immer mehr Nutzer von Messengerdiensten sprechen mittlerweile ihre Nachrichten ein statt sie einzutippen. Zu Van der Bellen passt dieses Format besonders gut, da er kein Digitaljunkie ist und das Bespielen der sozialen Netzwerke an sein Team delegiert hat. Der Authentizitätsmangel, der daraus bei vielen Politikern resultiert, wird durch das Audioformat aufgehoben: Die Sprachnachrichten des Kandidaten erzeugen eine Nähe zum Wähler, die eine Textbotschaft, vor allem wenn sie von Mitarbeitern geschrieben wird, nicht herstellen kann. Folglich bekam Van der Bellen viele persönliche Sprach- und Videonachrichten als Antwort seiner WhatsApp-Abonnenten zurück.

Das kann man als besondere Verbundenheit der Unterstützer zum Kandidaten verstehen, denn eine Sprachnachricht zu formulieren und aufzunehmen fordert einem Nutzern deutlich mehr als einen Tweet oder Facebook-Kommentar abzugeben. Neben den Audio-Nachrichten verschickte Van der Bellen über WhatsApp außer ein paar “Behind-the-Scenes”-Eindrücken, vor allem Videos, Bilder und Veranstaltungshinweise, die auch über die anderen Digitalkanäle der Kampagne verbreitet wurden.

Nun ist Van der Bellen kein Pionier der politischen Kommunikation über WhatsApp, aber der neue österreichische Bundespräsident hat zwei wichtige Prinzipien digitaler Wahlkampfführung lehrbuchmäßig umgesetzt:

Erstens, er hat jenen Kanal gewählt, der in den Kommunikationsgewohnheiten seiner Kernwählergruppe eine sehr wichtige Rolle spielt.

Zweitens hat er mit den Sprachbotschaften auf diesem Kanal auf eine Art und Weise kommuniziert, die sowohl zu seinem Image und persönlichen Digitalisierungslevel als auch zum Nutzerverhalten seiner Zielgruppe passen.

Chancen und Risiken für den Bundestagswahlkampf 


Mobilisierungsaufruf via WhatsApp
Wird WhatsApp auch im Bundestagswahlkampf 2017 eine Rolle spielen? Zweifelsohne wird der Messenger zum Einsatz kommen. Schon in den letzten Landtagswahlkämpfen oder als Instrument zur regelmäßigen Bürgerkommunikation wird WhatsApp punktuell eingesetzt. Aufgrund der ersten Erfahrungen mit dem Einsatz von WhatsApp, auch als Mittel der Kundenkommunikation von Unternehmen, der Unterstützerbindung von Hilfsorganisation oder der Newsletterkommunikation von Medien, machen meines Erachtens drei Aspekte den Messenger zu einem relevanten Kanal der Wahlkampfkommunikation:

1. WhatsApp-Nachrichten werden gelesen. Während Email-Newsletter in vielen Fällen nur von durchschnittlich 25% der Empfänger geöffnet werden, erreichen viele WhatsApp-Versendungen Öffnungsraten von über 90%. Offenbar haben WhatsApp-Nachrichten noch eine andere Wertigkeit als Emails. Nachrichten werden nicht ungelesen gelassen. Das Phänomen von Spam gibt es dort noch nicht. Das kann sich aber natürlich schnell ändern.

2. WhatsApp ist näher dran am Nutzer. Auf Facebook sind wir Fans von dutzenden Seiten, auf Twitter und Instagram folgen wir hunderten Nutzern - auf diesen “Newsfeed”-basierten Plattformen konkurrieren permanent sehr viele Botschaften miteinander. Wer sich nicht der Logik der Algorithmen unterwirft, hat kaum noch eine Chance durchzukommen. WhatsApp-Nachrichten funktionieren hingegen wie eine SMS, sie werden viele Menschen direkt als Push-Nachricht auf dem Bildschirm angezeigt und konkurrieren meist nur mit den Nachrichten von Freunden oder Kollegen. Keine schlechte Sache, wenn man sich als Wahlkämpfer zwischen die Nachrichten von Freundin X und Bruder Y einsortieren kann.

3. WhatsApp ist ein Vehikel zum Engagement. Wer seine Mobilnummer einer Partei oder einem Kandidaten gibt und einwilligt über WhatsApp angeschrieben zu werden, ist allein durch das Überwinden dieser Hürden eine wertvolle Ressource. Es ist deutlich wahrscheinlicher, dass ein WhatsApp-Kontakt zu freiwilligem Engagement im Wahlkampf bereit ist als ein Facebook-Fan. Wenn man seine WhatsApp-Kontakte regional sortieren kann (z.B. durch PLZ-Abfrage bei der Registrierung), gibt es vom Aufruf zum Mitmachen beim lokalen Haustürwahlkampf bis zur Einladung zur Wahlkampfveranstaltung im eigenen Stadtteil vielfältige Möglichkeiten.

Alexander van der Bellen
Audio & Textbotschaft via WhatsApp
Die Chancen von WhatsApp als Wahlkampfinstrument wird jedoch getrübt von den laxen Datenschutzbestimmungen des Anbieters. Die Weitergabe von Nutzerdaten an den Mutterkonzern Facebook hat dem Ansehen der App weiter geschadet. Wer in seinem Wahlprogramm für besonders verbraucherfreundlichen Datenschutz in sozialen Netzwerken eintritt, muss sich fragen, ob die Nutzung solcher Dienste als Wahlkampftool nicht gegen die eigenen Prinzipien verstößt. Diese “practice what you preach”-Herausforderung gilt jedoch nicht nur für WhatsApp, sondern für fast alle großen sozialen Netzwerke.












Autor: 

Portraitfoto
Johannes Hillje (Foto: privat)
Johannes Hillje arbeitet als Politikberater in Berlin und Brüssel. 2014 leitete er den Europawahlkampf der Europäischen Grünen Partei. Davor arbeitete er für das UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) in New York im Bereich "Global Campaigning/ Communications". Hillje studierte "Politics & Communication" an der London School of Economics (LSE) und Politikwissenschaft und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz.

Twitter: @JHillje

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