Wahlbeobachter in den Medien

Sonntag, 17. August 2014

Welche Auswirkungen hat die Nutzung politischer Inhalte in Social Media auf das Vertrauen in die Politik?

Dies ist ein Gastbeitrag von Florian Wintterlin vom Institut für Kommunikationswissenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Die Studie ist Teil eines Forschungsprojekts am Institut für Kommunikationswissenschaft zum Thema „Medien und politisches Vertrauen“ unter Leitung von Prof.Dr. Marcinkowski. 

WWU Münster
Auf die Relevanz von Vertrauen in die Politik moderner Demokratien wurde bereits 1965 vom kanadischen Politikwissenschaftler David Easton hingewiesen, der vor der Gefahr warnte, dass fehlendes Vertrauen die einzelnen Mitglieder der Gesellschaft von politischen Autoritäten entferne und für politische Instabilität sorge.

Politisches Vertrauen beruht auf individuellen Erwartungen an künftige Leistungen des politischen Systems (vgl. Barber 1983). Als Gründe für die Bildung politischen Vertrauens dienen Einschätzungen von Strukturen und Prozessen des politischen Systems und insbesondere die Beurteilung politischer Akteure. Quellen für diese Einschätzungen sind persönliche Gespräche, Medien sowie Primärerfahrungen mit Politik.

Wenn man den Analysen von Experten und Medien glauben darf, haben wir es seit den 60er-Jahren mit einem substantiellen Niedergang politischen Vertrauens in westlichen Demokratien zu tun, für den nach der Videomalaise-These die Massenmedien eine Teilverantwortung tragen (vgl. Robinson 1975; Cappella & Jamieson 1997). Mit dem Internet und insbesondere Social Media werden jedoch im wissenschaftlichen Diskurs aufgrund niedriger Zugangshürden und hoher Interaktivität Hoffnungen auf mehr Partizipation der Bürger am öffentlichen Diskurs verbunden (vgl. Emmer et al. 2011; Coleman/Blumler 2009). In der Praxis nutzen einige Politiker wie Peter Altmaier (CDU) deren Möglichkeiten bereits sehr aktiv (vgl. Abbildung 1).

@peteraltmeier

Abbildung 1: Twitterprofil Peter Altmaier

Als eine der ersten ihrer Art stellt die hier vorgestellte Studie nun die Frage, welche vertrauensrelevanten Wirkungen die interaktive, persönlichere Form der Kommunikation auf Social Network Sites (SNS) hat.


Nach netzwerktheoretischen Argumenten sind drei Gründe dafür verantwortlich, dass Social-Media-Kommunikation ihren Einfluss hauptsächlich auf die Einschätzung politischer Akteure ausübt. 

  • Erstens sind Social Media ein stark personalisiertes Medium, das Politikern neue Möglichkeiten bietet, sich selbst positiv und transparent darzustellen. 
  • Zweitens können Nutzer direkt mit Politikern interagieren, was zu einem „sense of intimacy“ (Crawford 2009: 528) führt. 
  • Und drittens kann bereits das Verfolgen von Interaktionen Anderer mit Politikern deren Bewertung positiv beeinflussen (vgl. Donath 2008; Lee 2013). Es wird demzufolge argumentiert, dass der Effekt von Social Media auf politisches Vertrauen ein indirekter, über die Wahrnehmungen politischer Akteure vermittelter Effekt ist [1].


Abbildung 2: Variablenmodell


 

NUTZUNG POLITISCHER INHALTE IN SOCIAL MEDIA


Von den Social-Media-Nutzern verwenden 33,9 Prozent mindestens mehrmals pro Monat Online-Netzwerke für politische Zwecke, immerhin 12,4 Prozent sogar täglich. Die Zahl derjenigen, die Social Media nie im Zusammenhang mit Politik nutzen, liegt bei 36,5 Prozent. Bezogen auf die gesamte Stichprobe liegt der Anteil derjenigen, die Social Media mindestens selten für politische Zwecke nutzen bei 41,6 Prozent.


Abbildung 3: Häufigkeiten politischer Social-Media-Nutzung in Prozent




 

BEURTEILUNGEN VON POLITIKERN SIND DER WICHTIGSTE GRUND FÜR POLITISCHES VERTRAUEN


Zunächst wurde in einem ersten Auswertungsschritt überprüft, welche der erfassten politischen Einstellungen, demografischen Merkmale und Mediennutzungsvariablen einen signifikanten Einfluss auf das politische Vertrauen haben. Dabei erwiesen sich neben globalen Einschätzungen der wirtschaftlichen Lage und einer allgemeinen Zufriedenheit mit der Demokratie auch die vorher theoretisch angenommenen Beurteilungen politischer Strukturen, Prozesse und Akteure als relevante Prädiktoren. Stärkster Prädiktor sind die Einschätzungen der Politiker, was die These einer personalisierten Politikwahrnehmung bestätigt.

SOCIAL-MEDIA-NUTZUNG BEEINFLUSST DIE BEURTEILUNG VON POLITIKERN POSITIV


Im zweiten Schritt wurden relevante Einflussfaktoren auf den Hauptgrund politischen Vertrauens, die Politikerwahrnehmung, identifiziert. Hinter einer allgemeinen Demokratiezufriedenheit, die offensichtlich auch eine positive Wahrnehmung der handelnden Personen zur Folge hat, ist die Social-Media-Nutzung für politische Zwecke der stärkste Faktor und beeinflusst das Bild der Politiker positiv. Insbesondere im Vergleich zu den ebenfalls erfassten klassischen Massenmedien, bei denen kein signifikanter Effekt nachgewiesen werden konnte, erwiesen sich Social Media als starker Prädiktor.

SOCIAL MEDIA HABEN EINEN INDIREKTEN, POSITIVEN EINFLUSS AUF POLITISCHES VERTRAUEN


Die Resultate des Pfadmodells zeigen, dass Social Media auch unter Berücksichtigung relevanter Kontrollvariablen einen signifikant positiven, indirekten Einfluss auf politisches Vertrauen haben, der durch die Einschätzung der Politiker vermittelt ist. Social Media haben einen starken Einfluss auf das Bild, was wir uns von Politikern machen, welches wiederum der Hauptgrund für Vertrauen in Politik ist.

BESONDERES WIRKUNGSPOTENTIAL BEI POLITISCH WENIG INTERESSIERTEN


Wenn nach politischem Interesse differenziert wird, zeigt sich der Social-Media-Effekt am stärksten bei politisch wenig Interessierten.  Besonders in der Gruppe derjenigen, die ansonsten nicht von politischer Kommunikation erreicht werden, ist demnach das Wirkungspotential von Social Media in Bezug auf die Bildung politischen Vertrauens am höchsten.

FAZIT


Politische Kommunikation über Social Media ist nach den Befunden der Studie in der Lage, die Beziehung zwischen Politikern und Bürgern über klassische Massenmedien hinaus zu vitalisieren und verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Die Möglichkeit einer größeren Nähe zu den Politikern begünstigt die Entwicklung politischen Vertrauens. Dieser Befund ist insbesondere für europäische Länder relevant, in denen die Verwendung von Social Media als Mittel der politischen Kommunikation weitgehend unterentwickelt ist und große Potentiale bislang ungenutzt bleiben.


Literatur

Barber, Bernard (1983): The Logic and Limits of Trust. New Brunswick.
Cappella, Joseph N./Jamieson, Kathleen H. (1997): Spiral of Cynicism. New York.
Coleman, Stephen/Blumler, Jay (2009): The Internet and Democratic Citizenship: Theory; Practice; Policy. New York.
Crawford, Kate (2009): Following You: Disciplines of Listening in Social Media. In: Journal of Media and Cultural Studies. 23. Jg., Nr. 4: 525-535.
Donath, Judith (2008): Signals in Social Supernets. In: Journal of Computer-Mediated Communication. 13. Jg., Nr. 1: 231–251.
Easton, David (1965): A System Analysis of Political Life. New York.
Emmer, Martin/Vowe, Gerhard/Wolling, Jens (2011): Bürger online. Die Entwicklung der politischen Online Kommunikation in Deutschland. Bonn.
Lee, Eun-Ju (2013): Effectiveness of Politicians’ Soft Campaign on Twitter Versus TV: Cognitive and Experiential Routes. In: Journal of Communication. Published online before print.
Robinson, Michael J. (1975): American Political Legitimacy in an Era of Electron-ic Journalism: Reflections on the Evening News. In: Cater, Douglas/Adler, Richard (Hrsg.): Television as a Social Force. New York: 97-139.


Autor

Florian Wintterlin
Florian Wintterlin promoviert am Graduiertenkolleg für Vertrauen und Kommunikation in einer digitalisierten Welt in Münster über die Verwendung von Social-Media-Quellen bei der Berichterstattung aus Krisengebieten. In einem zweiten Schwerpunkt interessiert er sich besonders für die politische Vertrauensforschung und Zusammenhänge mit Medien im Allgemeinen und Social Media im Speziellen.







[1] Die verwendeten Daten stammen aus einer Online-Befragung (N=519), die mithilfe der Global Market Insight, Inc. (GMI) realisiert wurde. Die Befragten sind hinsichtlich des Alters und Geschlechts proportional zur Gesamtbevölkerung verteilt. Zur Überprüfung der Hypothesen wird der Datensatz mit Hilfe von Regressionsanalysen und Pfadmodellen analysiert.

1 Kommentar:

  1. Aber diese Effekte treten wohl nur bei der Minderheit ein, die das Internet politisch nutzen oder wahrnehmen.
    Umgekehrt gilt, daß das Bild Sigmar Gabriels doch auch für Social-Media-Junkies nicht nur aus seinem rudimentären Twitteraccount und spärlicher Reklame während seiner Kurzelternzeit besteht.
    Insgesamt liegt da noch eine lange Wegstrecke vor uns.

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