Dienstag, 12. Mai 2015

Informieren & aktivieren: Wie Jugendliche Politik in Social Media rezipieren

Dies ist ein Gastbeitrag von Dr. Ulrike Wagner. Sie ist Direktorin des JFF - Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis in München. Der Beitrag beruht auf dem 2014 publizierten Buch "Jugendliche und die Aneignung politischer Informationen in Online-Medien". Mehr Informationen finden Sie hier.

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Die Strukturen des Social Web ermöglichen es, Informationen schnell und unkompliziert zu verbreiten, Wissen zu teilen und sich ad hoc zu organisieren. Dieses Spektrum an medialen Handlungsmöglichkeiten erstreckt sich vom Abrufen und Kommentieren aktueller Nachrichten über das Weiterleiten interessanter Meldungen bis hin zum Demoaufruf via Facebook-Posting oder auch dem kontinuierlichen Engagement in politischen Gruppierungen. Den Ausgangspunkt für die JFF-Studie „Jugendliche und die Aneignung politischer Information in Online-Medien“ bildet die Annahme, dass die gesellschaftliche Handlungsfähigkeit der Subjekte – also ihre Möglichkeiten, an Gesellschaft teilzuhaben und diese mitzugestalten – mit der Aneignung von medial vermittelter Information in engem Zusammenhang stehen. Die Ergebnisse geben einen Einblick, in welcher Art und Weise 12- bis 19-Jährige die informationsbezogenen Handlungsmöglichkeiten für sich nutzbar machen.

Soziale Netzwerkdienste sind wichtige Verweisstruktur


Informations- und Nachrichtenportale, soziale Netzwerkdienste wie Facebook und Seiten für Videos/Hörbeiträge, wie z.B. Youtube, sind relevante Quellen, wenn die befragten Jugendlichen sich über gesellschaftlich relevante Themen informieren. Die Nutzung unterschiedlicher Online-Strukturen erfolgt dabei überwiegend rezeptiv, d.h. Informationen zu lesen, zu hören, zu sehen. Deutlich weniger Jugendliche verwenden die Online-Strukturen, um andere zu informieren, indem sie selbst Beiträge erstellen, Beiträge anderer kommentieren, bewerten oder weiterleiten. Insgesamt spielen jedoch soziale Netzwerkdienste für die Jugendlichen die größte Rolle, wenn es um Tätigkeiten geht, die über die Rezeption hinausgehen: Hier hat über die Hälfte schon einmal selbst themenbezogene Beiträge verfasst und zwei Fünftel haben solche Beiträge schon einmal kommentiert. Über ein Drittel hat dort einen Beitrag zum relevanten Thema schon einmal an andere weitergeleitet. Auch wenn es pauschal darum geht, andere zum Thema zu informieren, stehen soziale Netzwerkdienste ganz oben, gefolgt von der direkten interpersonalen Kommunikation (wie z.B. chatten).

Politisch bereits stark interessierte Jugendliche sind in allen Handlungsbereichen online deutlich aktiver als weniger interessierte Jugendliche. Eine Ausnahme stellt die rezeptive Nutzung von sozialen Netzwerkdiensten dar, die bei beiden Gruppen gleich stark ausfällt, was darauf verweist, dass diese Struktur potenziell eine zentrale Verweisstruktur darstellt, auf der politisch interessierte Jugendliche weniger interessierte erreichen können – sofern sie miteinander vernetzt sind.

Balkendiagramm

Abb. 1: Vergleich verschiedener informationsbezogener Aktivitäten (Angaben „Schon einmal gemacht“), Angaben in Prozent, N=1182

Engagement im Internet


Befragt nach den Formen ihrer Engagement-Tätigkeiten zeigt sich, dass sich die befragten Jugendlichen vor allem an solchen Formen beteiligen, die relativ wenig Eigeninitiative und Aktivität erfordern. So ist sich der mit Abstand größte Teil der Befragten online schon des Öfteren einer themen- oder aktionsbezogenen Gruppe beigetreten. Gut ein Viertel der Befragten beteiligt sich öfter an Diskussionen im Internet. Eine weitere Form relativ niedrigschwelligen Engagements bilden Aufrufe zu Aktionen innerhalb oder außerhalb des Internets.
Balkendiagramm
Abb.2: Engagementbezogene Aktivitäten Jugendlicher im Internet Angaben in Prozent (N = 666); dreistufige Abfrage






 

 

Charakterisierung des politik- und informationsbezogenen Medienhandelns


In der Studie wurden zudem vier verschiedene Handlungsmuster von Jugendlichen in Bezug auf ihren Umgang mit politischer Information differenziert:

Die ‚Rezeptionsorientierten‘ bringen sich in ihrem sozialen Umfeld durchaus themenbezogen in Diskussionen ein und engagieren sich auch für bestimmte Themen, sie nutzen hierfür jedoch keine Medien. Auf Soziale Netzwerkdienstes greifen sie nur zur Organisation ihres Engagements zurück, nicht jedoch um sich mit Inhalten an eine irgendwie geartete Öffentlichkeit zu wenden.

Die ‚Austauschorientierten‘ nutzen dagegen Medien – und hier in erster Linie soziale Netzwerkdienste –, um sich im Austausch mit dem erweiterten sozialen Umfeld auf Themenrelevantes aufmerksam zu machen, sich dadurch eine Meinung zu bilden und diese (zumindest teil-)öffentlich zu vertreten.

Die ‚Journalistisch Orientierten‘ lehnen Social Web-Angebote dagegen als Rahmen für die Platzierung ihrer Beiträge ab, wenn sie sie auch nutzen, um auf ihre Werke aufmerksam zu machen. Sie streben danach, andere durch eine professionelle Themenaufbereitung fundiert zu informieren und sind dabei zwar auch, jedoch nicht in erster Linie, thematisch motiviert.

Die ‚Zielgruppenorientierten‘ schließlich nutzen Medien systematisch, um andere von ihrer themenbezogenen Position zu überzeugen und wählen dabei diejenigen medialen Wege aus dem gesamten Spektrum, die ihnen in Hinblick auf die Adressaten am erfolgreichsten erscheinen.

Aktivierung zum politischen Engagement?


Für die Frage nach den Möglichkeiten zur Aktivierung von Jugendlichen für politische Themen und politisches Engagement erscheinen auf Basis der Ergebnisse folgende Merkpunkte wesentlich:

  • Soziale Netzwerkdienste bieten einen fließenden Übergang zwischen dem „Sich-informieren“ und dem „Sich-beteiligen“. Diese alltäglichen Medienhandlungsweisen der Jugendlichen sind in die Überlegungen zur Forcierung von Engagement und Beteiligung von Jugendlichen einzubeziehen, auch wenn sie sich zum überwiegenden Teil in kommerziell geprägten Medienstrukturen bewegen.
  • Um Jugendliche für politische Themen im weiteren Sinn zu begeistern, müssen diese einen engen Bezug zu ihrer Lebenswelt aufweisen. Je direkter die Auswirkung von Entscheidungen das Umfeld der Jugendlichen trifft, desto eher entstehen ein Interesse am Thema und ein weiterführendes Engagement.
  • Beteiligungsangebote sind daran zu messen, inwieweit Jugendliche sich ernst genommen fühlen und sie Resonanz auf ihre Meinungsäußerungen oder Aktivitäten erhalten. Dabei erscheint es wesentlich, Online-Aktivitäten und -Engagementformen eng mit weiteren Aktivitäten in den Sozialräumen der Jugendlichen zu verzahnen, damit die Jugendlichen sich als wirksam und wirkmächtig erfahren können.


Die komplette Studie zu diesem Gastbeitrag ist im Jahr 2014 auch als Buch erschienen. Mehr Informationen finden Sie hier.

Ein Interview mit Dr. Ulrike Wagner zur Studie auf Bayern5 können Sie hier hören



Autorin:


Dr. Ulrike Wagner

Dr. Ulrike Wagner ist Direktorin des JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis. Schwerpunkte ihrer Forschungsarbeit sind Medienkonvergenz und medialer Wandel, Partizipation von Heranwachsenden in einer mediatisierten Gesellschaft, Sozialisation mit und über Medien, Kinder- und Jugendmedienforschung in sozial benachteiligten Milieus. 














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