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Dienstag, 25. Oktober 2016

Digital Diplomacy - Wie Deutschland Außenpolitik im Netz betreibt

Logo "politik & kommunikation"
Ein Blog goes Papier. Im Magazin "politik & kommunikation" gibts meine Postings auch als Kolumne und auf Totholz. Der Schwerpunkt der dritten Ausgabe 2016 ist "US-Wahl/International". Meine Kolumne beleuchtet die digitale Außenpolitik Deutschlands und die Digital Diplolmacy-Aktivitäten des Auswärtigen Amtes.

Hier das Crossposting dieser Kolumne.

Der 23. Juni wird in die Geschichtsbücher eingehen: An diesem Donnerstag stimmten 51,9 Prozent der britischen Bürger für Austritt des Vereinigten Königreiches aus der Europäischen Union. Aber das ist nicht der einzige Grund, denn am selben Abend veröffentlichte das Auswärtige Amt das reichweitenstärkste Social-Media-Posting aller Zeiten: „Wir gehen jetzt in einen irischen Pub und betrinken uns. Ab morgen arbeiten wir dann wieder für ein besseres #Europa. Versprochen“ #EUref „

Wir gehen jetzt in einen irischen Pub und betrinken uns. Ab morgen arbeiten wir dann wieder für ein besseres #Europa. Versprochen! #EUref
Tweet des Auswärtigen Amtes am Abend des #Brexit-Referendums, 24. Juni 2016


Der Tweet und das spätere Facebook-Posting erreichten zusammen mehr als  5 Millionen Impressions. Durch die Verbreitung von Medien auf der ganzen Welt werden es noch einige weitere Millionen Kontakte zusätzlich gewesen sein.

Durch diesen emotionalen Stil ist das Auswärtige Amt wohl erstmals direkt in den Timelines vieler Bundesbürger gelandet. Die Zahlen zeigen: Diese eher ungewöhnliche diplomatische Kommunikation wird honoriert.

Frank-Walter Steinmeier
#FragSteinmeier-Bürgerdialog auf Twitter
Außenpolitik findet schon länger nicht mehr ausschließlich in den Hinterzimmern von Botschaften, Konferenzen oder auf Empfängen statt, sie ist in der digitalen Welt angekommen. Der Begriff Digital Diplomacy umfasst dabei alle Aktivitäten, die zur Lösung außenpolitischer Probleme mit Hilfe des Internets und neuer Informations-Technologien angewendet werden.

Für US-Außenminister John Kerry ist der Begriff sogar schon wieder überflüssig: „The term digital diplomacy is almost redundant – it’s just diplomacy, period.“ Diplomatie und Dialog finden für ihn schon längst im Digitalen statt.

Bereits unter Außenminister Guido Westerwelle (FDP) öffnete sich das Amt und verstärkte seine Kommunikationsmaßnahmen im Onlinebereich. Frank-Walter Steinmeier (SPD) forcierte das Thema weiter: Unter anderem startete er 2014 mit „Review 2014 – Außenpolitik Weiter Denken" einen Prozess, in dem die neue Rolle der deutschen Außenpolitik in einer stärker globalisierten Welt diskutiert und explizit die Öffentlichkeit über ein Onlineportal eingebunden wurde, um Antworten auf aktuelle Herausforderungen zu finden.

Webseite aussenpolitik-weiter-denken.de


Zudem motivierte das Außenamt, alle diplomatischen Vertretungen eigene digitale Kanäle für die Außenpolitik im Gastland zu etablieren. Mit Erfolg: Aktuell nutzen weltweit 136 deutsche Botschaften, ständige Vertretungen und Konsulate Social Media. Davon sind bisher 120 auf Facebook präsent und ca. 70 auf Twitter. Neben der klassischen Webseite werden so nun Blogs, Facebook, Twitter, YouTube, Instagram, Flickr, tumblr, VK Kontakte, Vine und sogar ein eigener Buzzfeed-Kanal (Deutsche Botschaft Washington) für die Diplomatie genutzt, um aktuelle deutsche Positionen, Informationen und Bewertungen in den Gastländern zu verbreiten.

Auswärtiges Amt - Pluragraph.de
Überblick Deutsche Botschaften in Social Media
Auch wenn die deutsche Öffentlichkeit davon nur sehr wenig mitbekommt, geschieht dies mit steigendem Erfolg. Schaut man sich allein die quantitativen Reichweiten einiger Botschaften auf Facebook an, könnten viele politische Akteure in Deutschland neidisch werden. So hat z.B. die Botschaft Kairo in den vergangenen drei Jahren eine Community mit fast 350.000 Fans aufgebaut, für die Postings der Botschaften Tunis und Dhaka interessieren sich weit mehr als 200.000 Fans. Zum Vergleich: Die Facebook-Community der Linkspartei hat trotz ausgezeichnetem Management aktuell lediglich ca. 155.000 Fans und ist damit die mit Abstand größte unter den im Bundestag vertretenen Parteien.

Auch die qualitativen Reichweiten können sich sehen lassen. Dank überdurchschnittlicher Interaktionsraten und professionellem Auftritt erzielen viele Postings große Reichweiten, über den Kreis der eigenen Fans hinaus. Viele Bürger, insbesondere in Nordafrika informieren sich direkt beim deutschen Staat. Die deutsche Außenpolitik erreicht so ohne Gatekeeper die interessierte  Bevölkerung.

Dies trifft auch auf die Kanäle des Auswärtiges Amtes zu. Nicht nur das Pub-Posting, auch viele weniger emotionale, seriösere Postings erreichen weltweit Millionen Kontakte, sowohl in der diplomatischen Community als auch in der Öffentlichkeit der betreffenden Länder.

Dies ist auch eines der formulierten Ziele des Ministeriums: Mit eigenen Themen weltweit wahrgenommen werden. Heute reicht es nicht mehr aus, nur am Verhandlungstisch zu sitzen und gewichtige Argumente im richtigen Moment zu platzieren. Internationale Verhandlungen werden im Jahr 2016 in Echtzeit medial begleitet. So wird der Resonanzraum für die eigene Position gestärkt und internationale Unterstützung für die Verhandlungen im Hinterzimmer organisiert.

Screenshot
Twitter-Account @TheIranDeal
Gut zu beobachten war dies zuletzt bei der Syrien-Friedenskonferenz in Wien oder bei den Verhandlungen zum Atomabkommen mit dem Iran, dem sogenannten #IranDeal. Das Weiße Haus richtete sogar exklusiv für diese wichtigen Verhandlungen einen eigenen Single Issue-Account auf Twitter ein. Aber auch das Auswärtige Amt war immer zeitnah mit aktuellen Verhandlungsergebnissen online präsent. Hierfür wird vor allem der Twitteraccount @GermanyDiplo genutzt, auf dem neben Englisch auch ab und an auf Französisch, Spanisch und anderen Sprachen getwittert wird.

Bisher hat das Außenamt keine eigene Social-Media-Strategie ausformuliert und nieder geschrieben, aber alle Aktivitäten zählen darauf ein, für die eigenen Positionen aktiv zu werben, als wichtige Stimme in Diskussionen wahrgenommen zu werden und die Meinungsbildung bei Verhandlungen digital zu beeinflussen. Neben dem diplomatischen Corps gehören internationale Multiplikatoren und Journalisten zur Kernzielgruppe.

Pluragraph.de
Ausländische Botschaften in Deutschland in Social Media
Die ausländischen Botschaften in Deutschland werden ebenfalls anlassbezogen adressiert und eingebunden. Auch hier hat sich in den vergangenen Jahren einiges getan: Nach eigenen Recherchen nutzen bereits 58 ausländische Botschaften und 33 Konsulate soziale Netzwerke aktiv, um in Deutschland digital präsent zu sein.

Diplomatisches Handeln soll durch die Aktivitäten im Netz insgesamt transparenter gemacht werden, um somit das Vertrauen in den Zielgruppen zu erhöhen. Der durch die digitalen Kanäle ermöglichte Dialog mit einer breiteren Öffentlichkeit stellt dabei eine willkommene und gewollte Ergänzung zu klassischen Diplomatie dar. Neben ihrer traditionellen Rolle als Regierungsbeauftragte werden Diplomaten so stärker auch zu Bürgerbeauftragten. Es entsteht ein Dialog mit der Zivilgesellschaft, den die konventionelle Diplomatie in der Form bisher nicht kannte.

Die Ziele des Auswärtigen Amtes werden in Berlin von einem bisher achtköpfigen und durch Umstrukturierungen zukünftig erweiterten 12 köpfigen Online-Team umgesetzt. Neben der umfangreichen Webseite ist es für alle Social-Media-Kanäle und mehrsprachigen Onlineprojekte verantwortlich. Die Aktivitäten sind in den vergangenen Jahren sichtbar professioneller geworden, auch dadurch hat das Vertrauen der Hausleitung zugenommen, was wiederum neue Freiräume für die Onliner geschaffen hat. Eine kleine Revolution in einer stark hierarchischen Institution wie dem Außenministerium.

Tweet-Battle Schweden vs. Dänemark
Die Botschaften selbst handeln ebenfalls autark, übergreifende Themen werden zwar besprochen, was und wie genau gepostet wird, entscheidet jede Vertretung aber individuell. Auch hier gab es in der Vergangenheit keine groben Schnitzer, die zu diplomatischen Verwerfungen führten. Hilfreich war hierfür sicherlich die um die digitale Kommunikation ergänzte Diplomaten-Ausbildung. Sie gehört heute zum Standard, wenn man Deutschland im Ausland vertreten möchte.

In Zukunft werden wir also dank Digital Diplomacy noch mehr aus der Welt der Diplomatie erfahren und können uns vielleicht schon jetzt auf das erste Twitter-Battle des Auswärtiges Amtes vorfreuen. Vor einigen Monaten lieferten sich die Digital Diplomacy-Vorreiter Schweden und Dänemark einen ironischen aber durchaus sehr lehr- und informationsreichen Schlagabtausch. Sie spülten so die große Diplomatie niedrigschwellig in Millionen Timelines - und letztlich profitierten davon beide Länder.

Dienstag, 31. Mai 2016

"Mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch, Herr Präsident" - Dürfen Politiker Emotionen via Social Media zeigen?

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Ein Blog goes Papier. Im Magazin "politik & kommunikation" gibts meine Postings auch als Kolumne und auf Totholz. Der Schwerpunkt der ersten Ausgabe 2016 ist "Emotionen". Meine Kolumne zur Frage, wie emotional Politiker auf facebook und Twitter sein dürfen.

Hier das Crossposting dieser Kolumne.

Sie sind ein Arschloch ;)“ - Das antwortete CDU-Generalsekretär Dr. PeterTauber Anfang Januar einem Dauernörgler auf seiner Facebookseite. Diese vier Worte führten zu einer tagelangen Diskussion - auch in der CDU: Parteifreunde kritisierten dieses Verhalten.

Dürfen und sollen also Politiker in sozialen Netzwerken emotional auftreten?


Sie sind ein Arschloch
Facebook-Kommentar Dr. Peter Tauber
Der Ausdruck “Arschloch” ist spätestens seit 1984 offiziell in die politische Debatte eingeführt. Damals sagte Joschka Fischers im Bundestag: "Mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch, Herr Präsident!”. Seitdem gilt es als geflügeltes Wort. Deswegen verwenden viele Deutsche diesen Ausdruck ganz selbstverständlich im Alltag, auch wenn sie mit den Positionen des Grünen nie etwas anfangen konnten. Die Wortgruppe gehört zum bundesdeutschen Diskussionskanon und wird auch zukünftig vielen als Anekdote in Erinnerung bleiben. An andere Aktivitäten des ehemaligen Außenministers, Oppositionsführers, Obergrünen und Staatsmanns können sich viele hingegen nicht mehr en detail erinnern, ebenso wenig wie an den Anlass des Zwischenrufes.

Das zeigt: Emotionale Aussagen und Handlungen (z.B. der Kniefall Brandts in Warschau) können langfristig mit einem Politiker verbunden und erinnert werden. Sie helfen, Themen zu transportieren und unterstreichen Argumente. Sie sorgen somit dafür, das komplexe und manchmal wenig beachtete Themen in die Öffentlichkeit getragen und wahrgenommen werden.

Auch Peter Tauber hat mit seinem kleinen Kommentar die Debatte um die Diskussionskultur im Netz, um Hatespeech und den Umgang mit Trollen neu entfacht. Dafür ist ihm zu danken.

Doch was sind eigentlich Emotionen?


Portrait-Fotos
7 Grundemotionen
Als Emotionen werden Gemütsbewegungen im Sinne eines Affektes verstanden, also als unmittelbare Reaktion auf die Wahrnehmung eines Ereignisses. Emotionen sind - im Gegensatz zu Gefühlen - immer nach außen gerichtet, meist eine relativ kurze, dafür aber sehr intensive Reaktion. Sie beziehen sich auf Personen. Freude, Wut, Ekel, Furcht, Verachtung, Traurigkeit und Überraschung - das sind die sieben Grundemotionen.

Ich bin eindeutig dafür, dass Politiker Emotionen sowohl analog, als auch digital ausleben und zeigen sollen. Nichts ist schlimmer als eine blutleere und komplett rationale Kommunikation und ein emotionslos bespielter Account in sozialen Netzwerken. Seit Jahren hören wir in Umfragen das gleiche Lamento der Bürger: Früher gab es mehr kantige PolitikerInnen, richtige Typen und markante RednerInnen – heute erscheint das politische Personal vielen Wählern als glatt gelutscht, als abgeschliffenes Produkt von Auftrittscoachs.

Social Media lebt von Personen, lebt von Positionen und ganz klar auch von Emotionen. Der sachliche und rational verfasste Text wird meist weniger wahrgenommen als ein persönliches und pointiertes Statement oder ein emotional vorgetragener Standpunkt z.B. via Livestream. Erfolgreich sind die Politiker und politischen Institutionen, die es schaffen, ein Thema emotional aufzubereiten. Dabei darf die Emotion aber nicht das Thema verdrängen. Emotionen dürfen immer nur das Transportmittel der Botschaft sein. Nie die Botschaft selber.

Das dies nicht immer ganz einfach ist, zeigen Tausende von gelöschten Politiker-Tweets, missratene Facebook-Postings und einige Rücktritte z.B. von Kommunalpolitikern nach emotional-digitalen Ausrastern. Deshalb mein Tipp an alle erregten Politiker: Vor dem Absenden des Tweets, Snaps oder Instagramfotos kurz durchatmen, das Posting ein paar Minuten liegen lassen und nur dann absenden, wenn es sich dann immer noch richtig anfühlt. Kommunikation im Affekt kann schief gehen, gerade wenn die Erregung am größten ist.

Facebook Reactions
Prinzipiell eignen sich meines Erachtens alle Grundemotionen für die Kommunikation. Entscheidend ist die Frage nach der politischen Kommunikationsstrategie und dem eigenen Charakter und Selbstbild.

Ein Beispiel: Die AfD ist eine klassische Protestwählerpartei, die Ängste schürt und Wut in der Wählerschaft erzeugen möchte, um sich gegenüber die Politik der Parlamentsparteien abzugrenzen und diese als außerparlamentarische Opposition anzugreifen. Ein klassisches Setting. Aus diesem Grund erzeugen sehr viele Facebook-Postings der Partei und ihrer Protagonisten eine wütende, (Menschen-)verachtende und Furcht erzeugende Grundemotion. Unter anderem mit dieser emotionalen Kommunikationsstrategie hat die Partei aktuell sehr viel Erfolg – vergleicht man die Social-Media-Reichweiten und Interaktionsraten mit denen der anderen Parteien. Mit einer auf Freude basierenden Kommunikation würde die AfD wohl scheitern, sie würde überhaupt nicht zum Charakter der von Wutbürgern getragenen Partei passen.

Regierungsparteien und Vertreter der Koalition können nicht so oft auf diesen emotionalen Kanon zurückgreifen, von ihnen wird ein positiver Kommunikationsansatz erwartet, zumal sie selber ein Interesse haben mit positiven Themen wahrgenommen zu werden. Nichtsdestotrotz können auch hier Traurigkeit (Attacken von Paris, Tod von David Bowie) oder Wut (Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, Vorkommnisse in der Kölner Silvesternacht) gezielt eingesetzt werden, um eigene Positionen zu unterstreichen und in die Breite zu tragen.

Betrachtet man die Social-Media-Kommunikation genauer, sieht man das viele politische Akteure Emotionen sehr strategisch einsetzen. Nur in den wenigsten Fällen wirken Tweets und Postings wirklich wie im Affekt gesendet. Dies finde ich aus den oben beschrieben Aspekten auch nicht falsch. Emotionen können auch mit klarem Kopf verfasst werden. Dabei müssen politische Kommunikatoren aber aufpassen, dass eine oft benutzte Emotion sich nicht zum „running gag“ entwickelt und mit der Zeit abnutzt. Oder noch schlimmer: Bei den Empfängern nur als pures Stilmittel wahrgenommen wird.

Das Leben besteht nicht nur aus einer Emotion und nur wütende Anklagen kann auch der stärkste Unterstützer auf Dauer nicht aushalten. Zudem würde vielen aktuellen Debatten aus meiner Sicht etwas emotionale Abrüstung sehr gut tun. 70 Prozent der deutschen Facebooknutzer sehen das ähnlich. Laut einer aktuellen Umfrage haben sie in den vergangenen Monaten eine Zunahme von Emotionen und Aggression auf der Plattform wahrgenommen. Dies führt wiederum dazu, das knapp die Hälfte der Befragten in Zukunft weniger kommentieren wollen.

Trotzdem finde ich, der im Affekt entstandene Kommentar von Peter Tauber war richtig. Nach Monaten und Jahren der sachlichen Auseinandersetzung, überraschte er mit einem emotionalen Ausschlag und machte so auf das Thema herabwürdigender Beleidigungen gegenüber Politikern auf Facebook anschaulich aufmerksam. Seine unzähligen sachlichen Kommentare vorher hatten weder die Hater zufrieden gestellt, noch wurden sie in der Öffentlichkeit als Diskurs wahrgenommen. Die Kritiker hat er damit nicht umstimmen können, aber die Unterstützer versammelten sich nach dem Kommentar hinter ihm und in der Debatte wurde seine Stimme um so lauter gehört.

Kurzum: Emotionen gehören zu Social Media wie der Zwischenruf im Bundestag.


Fotonachweis: the big seven by booshooo [CC BY-NC-SA 2.0], via Flickr. 

Dienstag, 12. Januar 2016

WhatsApp, Periscope und Facebook Live - Alternativen für den Newsletter?

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Ein Blog goes Papier. Im Magazin "politik & kommunikation" gibts meine Postings auch als Kolumne und auf Totholz. Der Schwerpunkt der vierten Ausgabe 2015 ist "Zukunft". Meine Kolumne zum Thema Zukunft des Newsletters.  

Hier das Crossposting dieser Kolumne.

Nie war meine Postfach voller als heute: Jeden Morgen erreichen mich immer neue Email-Newsletter von Fachdiensten, Medien, NGOs, Parteien und Politikern. Aktuell versuchen mir 17 kuratierte Angebote wie Hamburger Tagesjournal, Social Media Watchblog, Piqd oder Nuzzel den Start in den Tag zu erleichtern. Der Newsletter ist lebendiger denn je.

Screenshot
Übersichtsseite "Politik & Netz" von Piqd
Medienhäuser aber auch politische Akteure haben die E-Mail wieder entdeckt. Dies wirkt in Zeiten von Persicope, Snapchat, WhatsApp, Tinder, Peach und vielen weiteren mobilen Kommunikationstools antiquiert. Gefühlt gibt es fast jede Woche ein neues Tool, das „die politische Kommunikation revolutionieren“ wird, das mit rasant steigenden Nutzerzahlen zum neuen Star ausgerufen wird. Technikaffine „Early Adopter“ spülen es wie verliebte Fanboys und aufgekratzte Groupies in die Timelines der politischen Akteure.

Aber was können die neuen Apps und Anwendungen? Was bringen sie wirklich für die politische Kommunikation? Sind sie sinn- und wirkungsvolle Alternativen zum lang vergessenen Email-Newsletter?

Ein kritischer Blick auf WhatsApp, Periscope und Facebook Live.

WhatsApp


Die Junge Union begrüßt seit April 2015 jedes Neumitglied via WhatsApp mit einem kurzen Video. CDU und SPD haben im beginnenden Vorwahlkampf in Rheinland-Pfalz eigene Accounts eingerichtet, um Presse- und Eilmeldungen zu versenden, aber auch um Fragen zu beantworten, und die nordrhein-westfalische Landtagsabgeordnete Sarah Philipp (SPD) versendet ihren „Bericht aus Düsseldorf“ nun über WhatsApp.

Screenshot YouTube
Wahlkampfvideo Johannes Kahrs (SPD) mit WhatsApp-Hinweis
Bereits 2013 veröffentlichte der Hamburger Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs (SPD) seine WhatsApp-Telefonnummer auf seinem Wahlplakat und im Wahlspot, um potentiellen Wählern die einfache Ansprache auch außerhalb von Parteiveranstaltungen zu ermöglichen. Mit großem Erfolg, resümierte er später.

Aktuell nutzen über 35 Millionen Deutsche die (im ersten Jahr) kostenlose Messenger-App, um ihre Handarbeitsgruppe zu organisieren, Opa und Opa an der Entwicklung der Enkel - mit Fotos und kurzen Videos - teilhaben zu lassen oder um der besten Freundin im Stress zwischendurch ein paar aufmunternde Emojis zuzusenden. Soweit so gut. Aber möchten die Nutzer darüber auch mit der Politik in Kontakt treten?

Logo WhatsApp
Funktionsweise: Jeder Smartphone-Nutzer kann sich die App kostenlos herunterladen. Sie funktioniert ähnlich wie die SMS, ergänzt um einige weitere kostenfreie Features: Man kann unbegrenzt lange Texte, aber auch Fotos und Videos an einzelne Nutzer oder auch in Gruppen mit bis zu 256 Mitgliedern senden. Jeder Nutzer kann zudem selbst Mitglied in unzähligen Gruppen werden, um so direkte Informationen zu erhalten und Diskussionen zu folgen. Zudem kann er direkten Kontakt zum Absender der Informationen aufnehmen.

WhatsApp bietet somit alle Funktionen für den Newsletter für die mobile Generation. Insbesondere auf mobilen Endgeräten können Informationen so optimal aufbereitet zur Verfügung gestellt werden. Und ganz wichtig: Sender und Empfänger können direkt miteinander kommunizieren.

Bewertung: Das Handling für Absender gerade bei Empfängerkreisen, die 256 Mitglieder übersteigen, ist noch nicht optimal. Auch wenn WhatsApp an Lösungen arbeitet, müssen Informationen bisher in parallel erstellten (Broadcasting-)Listen händisch über die App mehrfach gepostet werden. Eine Desktopversion ist noch nicht verfügbar. Eine Desktopversion ist seit 2015 verfügbar. Wenn man keinen externen Dienstleister beauftragen möchte, macht das die Versendung zu einer nervigen Fingerübung in Copy & Paste.

Da WhatsApp die „gewerbliche“ Nutzung bisher untersagt, befinden sich auch die Dienstleister in einer rechtlichen Grauzone. Weiterer Nachteil: Die Telefonnummern gehören dem Dienstleister, nicht dem Anbieter des Newsletters. Damit entstehen Abhängigkeiten und die Gefahr des Verlustes des kompletten Abonnentenstammes.

Erste Erfahrungsberichte zeigen aber, dass Newsletter über WhatsApp besser ankommen, da die Informationen gefühlt „näher am Nutzer“ sind als beim klassischen E-Mail-Versand: Newsletter-Öffnungsraten von 99 Prozent, normale Link-Klickraten von 30 bis 60 Prozent und fast überwiegend positives Feedback zeigen das Potential des Kanals.

Persicope & Facebook Live


Persicope-Startseite
Livestreaming-Angebote erfreuen sich in der Politik immer größerer Beliebtheit. Pressekonferenzen werden live gestreamt, genauso wie spontante Reden in Flüchtlingsunterkünften oder Debatten aus dem Bundestag. Persicope und Facebook Live sind überall dabei – parteiübergreifend. Bisher aber oftmals auch nur dort. Periscope, die zu Twitter gehörende App, kann zwar auch außerhalb des Twitter-Universums genutzt werden, die größte Reichweite erzielt sie aber über Twitter. In Deutschland erreicht man somit eine überschaubare Gruppe von Kommunikations-Multiplikatoren, aber nicht die breite Bevölkerung. Aktuelle Schätzungen zählen ca. 900.000 aktive deutsche Twitterati. Größere Reichweiten erzielt Facebook Live, allein durch die hohen Nutzerzahlen von Facebook. Bisher sind viele der Streamings aber lediglich das langweilige mobile Abbild von klassischen TV-Übertragungen. Die Reichweiten also auch hier bisher überschaubar. Erstmals in der deutschen Politik nutzte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff (CDU) das Tool für einen Livestream.

Screenhsot von Facebook
Facebook Live mit Dr. Reiner Haseloff
Funktionsweise: Livestreams werden in den meisten Fällen vorher in den Netzwerken angekündigt oder finden spontan auf den Seiten und Profilen des Nutzers (Sender) statt. Sobald das Streaming beginnt, ist man als Zuseher live dabei. Mit Persicope kann bereits heute jeder Nutzer streamen, Facebook Live ist bisher nur für wenige (verifizierte) Fanseiten freigeschaltet. Nach 24 Stunden wird der Stream bei Persicope wieder gelöscht, Facebook-Streamings sind hingegen unbegrenzt abrufbar.

Bewertung: Bewegtbilder werden auch in der politischen Kommunikation immer wichtiger. Komplexe Inhalte lassen sich manchmal besser via Video erklären als in langen Texten, die keiner liest. So gesehen bieten Streamingangebote eine einfache Möglichkeit, den Newsletter in Bild und Ton anzubieten. Um diesen allerdings spannend und erfolgreich zu machen, müssen die Infos gut aufbereitet werden, der Präsentator muss live präsentieren können und der gestreamte Newsletter kontinuierlich angeboten werden. Dies kostet Zeit und gegebenenfalls zusätzlich Geld. Von daher gibt es bisher in Deutschland nur wenige gute Beispiele.

Fazit


Aktuell sind über 90 Prozent der deutschen Internetnutzer in allen Altersgruppen Email-Newsletter-Abonnenten. Auch in Zukunft wird sich dies nicht rapide ändern. Aber insbesondere WhatsApp stellt eine spannende Alternative dar, um zukünftig die Bürger noch direkter in ihrer Lebensumwelt zu erreichen und somit eine stärkere Aufmerksamkeit für politische Informationen zu erhalten.

Ich bin allerdings skeptisch, ob Streamingdienste den klassischen Newsletter ersetzen können. Politische Vodcasts zum Beispiel über YouTube konnten in der Vergangenheit trotz großem Aufwand die Erwartungen an Zuseher und Dialog oftmals leider nicht erfüllen. Auch wenn die Zugangsschwelle durch die erforderliche aktive Anmeldung via E-Mail oder Mobilnummer größer ist, ist die Wahrnehmung der Inhalte bei klassischen Email-Newslettern und via WhatsApp höher.

Der Newsletter wird in Zukunft mobiler werden müssen, da die Bürger Informationen immer stärker auf dem Smartphone wahrnehmen werden und E-Mails gerade von jungen Nutzern oft nur noch in Ausnahmefällen genutzt werden. Die E-Mail ist aber noch lange nicht tot, und ein gut gemachter Email-Newsletter ist auch in Zukunft wertvoller als ein schlechtes Streaming. 

Montag, 19. Oktober 2015

Was kostet Social Media in der Politik? ... weniger als sie denken.

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Ein Blog goes Papier. Im Magazin "politik & kommunikation" gibts meine Postings auch als Kolumne und auf Totholz. Der Schwerpunkt der dritten Ausgabe 2015 ist "Geld". Meine Kolumne zum Thema Kosten von Social Media - Was kostet digitale Kommunikation in der Politik? 

Hier das Crossposting dieser Kolumne.

Kommunikation kostet Geld. Gute Kommunikation erfordert Zeit und Kreativität. Und erfolgreiche Kommunikation kostet Geld - und erfordert Zeit und Kreativität. Daran ändern auch Soziale Netzwerke nichts. 

Donald Trump kisses
Cover politik & kommunikation 3/2015
Der erfahrene Kommunikationsmanager weiß, wie viel klassische Presse- und Öffentlichkeitsarbeit kostet und was er dafür bekommt. Seit Jahren ist sie im Budget fest einkalkuliert. Eine SPIEGEL-Doppelseite kostet rund 70.000 Euro, ein 30 Sekunden langer Spot in der Sportschau-Werbepause kostet um die 40.000 EUR und wenn man auf dem SPD-Parteitag einen Stand bucht werden 320,00 Euro pro Quadratmeter fällig.

Anders bei Social Media: Viele Entscheider in Parteien und politischen Institutionen haben kein Gefühl für Aufwand und Ertrag.

Klar, die Nutzung der Netzwerke ist in der Grundversion kostenfrei (Wenn man davon absieht, dass Politiker mit den Daten ihrer Fans und Follower zahlen. Das ist aber ein anderes Thema.) Dabei vergessen viele, dass Social-Media-Kommunikation sehr wohl etwas kostet. Erfolgreiche Tweets und Postings gibt es nicht zum Nulltarif. Dies denken aber leider immer noch Einige. „Das macht der Praktikant bei uns nebenbei“, diesen Satz habe ich in den vergangenen Jahren öfter gehört. Er zeigt, dass viele Politiker noch immer unterschätzen, wie sehr Social Media die politische Kommunikation bereichert und das es am Gefühl für diese Kommunikationskanäle mangelt.  

Bevor Politiker sich für die dialogorientierte Kommunikation in sozialen Netzwerken entscheiden, sollten sie sich klar machen: Die zusätzliche Kommunikation darf kein Nebenprodukt sein. Social Media ist ein weiterer Kommunikationskanal, er kostet also zusätzlich Zeit. Da Politiker davon bekanntlich am wenigsten haben, benötigen sie weitere personelle Ressourcen bzw. müssen vorhandene Ressourcen smart umschichten. Zum Beispiel müssen Politiker nicht mehr die immer gleichen Bürgeranfragen beantworten, wenn sie wiederkehrende und aktuell diskutierte Themen proaktiv auf der Webseite, in sozialen Netzwerken oder in Facebookfragestunden für ein größeres Publikum beantworten. Auf diese Antworten können sie dann bei zukünftigen Anfragen immer wieder zeitsparend verweisen.  

Social-Media-Redaktion der Bremischen Bürgerschaft

Die Kosten für Mitarbeiter und der Bedarf variieren bei Politikern und Parteien stark. Einige Parlamentarier benötigen nur wenig Support, weil sie die Accounts größtenteils selbst bespielen, andere hingegen lassen sich umfassend betreuen. Die Kosten für eine volle Stelle liegen in deutschen Parteien bei rund  50.000 bis 60.000 EUR im Jahr. In den großen deutschen Bundesparteien gibt es einen bis drei „Online-Verantwortliche“, die die verschiedensten Online-Kanäle betreuen.  Abgeordneten im Bundestag und in den Landtagen stehen in den meisten Fällen keine volle Stelle für die Kommunikation zur Verfügung. Pressearbeit ist aber Teil der Arbeit von wissenschaftlichen Mitarbeitern, sie sollten sich auch um Social Media kümmern. Wenn man die Arbeit auf mehrere Schultern verteilt lässt sich der Aufwand auch ohne neue Stellen ganz gut bewältigt.


Zusätzlich können weitere Kosten entstehen:

  • Online-Monitoring: Worüber diskutieren die Menschen im meinem Wahlkreis? Was wird gerade über Verbraucherschutz getwittert? Oder über das Betreuungsgeld? Solche Themen lassen sich problemlos monitoren. Dafür gibt es kostenlose Tools, aber auch kostenpflichtige.  
  • Redaktionssysteme: Spezielle Social-Media-Redaktionssysteme erleichtern es Teams, Social Media Kanäle gemeinsam zu bespielen (z.B. Hootsuite, Buffer, some.io). Die Grundversionen sind oft kostenfrei, für erweiterte Funktionen können Jahresbeträge im dreistelligen Euro-Bereich anfallen.
  • Grafiken: Nicht jeder beherrscht Photoshop, aber Infografiken, Sharepics und Fotos vergrößern die Reichweite und Wahrnehmung in vielen Netzwerken. Einigen Netzwerke wie Instagram und Snapchat sind reine Foto-Apps. Hierfür kann man ebenfalls zum Teil kostenfreie Anwendungen wie infogr.am, Piktochart oder Canva nutzen. Leichter und schneller geht’s aber mit der Hilfe von Profis, die Visualisierungen erstellen. Freelancer oder Agenturen kosten natürlich Geld. Da eine gut gemachte Infografik mehr sagen kann als viele Textpostings zum gleichen Thema, ist es aber in der Regel gut investiert. Grafiken lassen sich auch mehrmals nutzen und in verschiedenen Kanälen ausspielen.   
  • Bildrechte: Im Idealfall hat man bereits einen eigene Fotodatenbank, auf die man zurückgreifen kann. Zudem gibt es Plattformen wie WikiCommons und unzählige weitere Datenbanken mit kosten- und lizenzfreien Bildern. Der Haken: Viele der Fotografen untersagen explizit die politische Nutzung. Möchte man also aussagekräftige Bilder rechtssicher nutzen, kommt man ab und zu nicht um kostenpflichtige Angebote herum. Oft verlangen Fotografen aber nur wenige Euro pro Bild.
  • Bewegtbild: Spätestens seit Facebook Videos noch stärker featured und Livestreaming-Apps wie Meerkat und Periscope auf dem Markt sind, setzen auch immer mehr Politiker auf Bewegtbild. Ein mittelpreisiges Smartphone reicht oft schon aus, um eigene Inhalte zu erstellen. Wer es professioneller angehen mag, braucht dafür eigene Technik, Schnittsoftware und Personal mit Videoerfahrung. Das kann schnell teuer werden. Bisher nutzen deshalb nur wenige politische Akteure außerhalb des Wahlkampfes professionelle Unterstützung. Mit kleinem Budget sind in diesem Bereich bereits achtbare Ergebnisse möglich, wie zum Beispiel die Videos von Patrick Dahlemann (SPD) zeigen oder der leider eingestellte Video-Podcast (Hurra!) von Dr. Peter Tauber (CDU).   
  • Agentur: Nicht jeder Politiker benötigt Beratung, aber vielen würde ich das gerade zu Beginn der Social-Media-Aktivitäten ans Herz legen, um den Strategieprozess und die Konzepterstellung professionell zu begleiten sowie die Schulung von Mitarbeitern. Eine fortlaufende Beratung benötigen aber meines Erachtens hauptsächlich Parlamente, Parteien, Fraktionen und Regierungen. Das muss nicht viel kosten, der Blick von außen ist aber oft goldwert, schließlich fehlt im Alltag meist Zeit und Muße um neue Trends und Tools zu entdecken.   
  • Weiterbildung: Gerade im Bereich sozialer Netzwerke ändert sich die Welt gefühlt jede Woche. Man muss nicht jeden Trend mitmachen, aber ab und zu sollten auch Politiker und ihre Teams ihr Wissen auffrischen und neue Anwendungen kennenlernen. Weiterbildung ist ein fester Posten im Budget, ab und zu sollte er auch für Social Media genutzt werden.  
  • Werbung: Fast jedes Netzwerk bietet die Möglichkeit, Werbung zu schalten. Bereits mit kleinen Beträgen von 5,10 oder 20 Euro lassen sich erhebliche Reichweitensteigerungen erzeugen. Zielgerichtete Werbung für bestimmte Zielgruppen ist auf keinem Weg günstiger als via Social Media.


Screenshot Facebook Werbeanzeigenmanager
Die Auflistung zeigt: Neben kreativen Ideen und guten Inhalten benötigt man auch ein wenig Geld, um die eigenen Positionen in den Netzwerken zur Geltung zu bringen. Viele Aktivitäten rund um Facebook, Twitter und Co lassen sich zu einem bestimmten Grad allerdings auch mit kostenfreien und kostengünstigen Angeboten realisieren.


Das Geld bei Social Media ist aber unschlagbar effizient eingesetzt - vergleicht man es mit den Beiträgen, die Politiker für Plakate, Bürgerfeste und Anzeigen in der Lokalpresse ausgeben.

Gut gemachte Postings können auch organisch und ohne Werbung Millionen Bürger direkt erreichen. Dies haben zuletzt unter anderem Prof. Lars Castellucci (SPD), Cem Özdemir (Grüne) oder Dr. Markus Söder (CSU) bewiesen. Die Grünen erreichen mit rund 67.000 Facebookfans über 35 Millionen Kontakte pro Jahr auf Facebook. Welches Wahlplakat schafft das schon?

Social Media kostet Geld und Zeit. Allerdings relativ gesehen weniger als alle anderen Kommunikationsinstrumente. Aber es lohnt sich.

Dienstag, 23. Juni 2015

#followerpower in der Politik – Wie man die eigenen Fans & Follower mobilisiert

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Ein Blog goes Papier. Im Magazin "politik & kommunikation" gibts meine Postings auch als Kolumne und auf Totholz. Der Schwerpunkt der zweiten Ausgabe 2015 ist "Macht". Meine Kolumne zum Thema #followerpower - Wie die Politik die "Macht" des Schwarms nutzen kann.

Hier das Cross-Posting dieser Kolumne. 

Welcher Politiker kennt das nicht. Wenige Monate vor der Wahl hofft man darauf, dass sich wieder ein paar ehrenamtliche Kräfte aus der Partei, engagierte Jungpolitiker oder sogar die eigene Familie motivieren lassen, um im Wahlkampf tatkräftig mitzudenken und vor allem anzufassen. Spätestens jetzt merkt mancher: Mein Team ist kleiner, als ich dachte. Oft liegt das daran, dass man Sympathisanten zu wenig an sich gebunden hat.

Samuel Fink
Klassisches Wahlkampfteam (Quelle: Samuel Fink)
Ehrenamtler dauerhaft für sich und die politische Arbeit zu begeistern – besonders jetzt, wo sich viele ohnehin nicht mehr an eine Partei binden mögen – ist keine einfache Aufgabe. Dabei bilden aktive Unterstützer und Sympathisanten die Machtbasis im Wahlkreis – off- wie online. Soziale Netzwerke können helfen, diesen Kreis aufzubauen, zu organisieren, dauerhaft an sich zu binden und sogar im richtigen Moment für sich zu mobilisieren Aus meiner Sicht ist die kontinuierliche Unterstützung im politischen Alltag zudem wertvoller, als ein paar helfende Hände kurz vor der Wahl.

Dialog ist alles


Screenshot Facebook-Frage
Best Practice Dialog Dr. Peter Tauber (CDU)
Langsam setzt sich auch in der Politik die eigentliche Idee hinter Social Media durch: Es geht nicht vor allem darum, Informationen zu senden, sondern darum, niedrigschwellig Dialoge zu führen, erreichbar zu sein und Feedback aktiv einzufordern. Darin liegt meines Erachtens das größte Potential für die politische Arbeit. Hierfür müssen Politiker aber bereit sein, sich auch öffentlich kritisieren zu lassen, Machtverlust hinzunehmen und Zeit für den Austausch zu reservieren. Wer dazu weder Lust noch Motivation hat, der kann auf #followerpower nicht zurückgreifen. Dem würde ich von der Nutzung sozialer Netzwerke sogar abraten. 

Das Hashtag


Gefühlt gehört #followerpower zu den ersten und verbreitetesten Hashtags bei Twitter. Dahinter steckt die Idee, dass man die Schwarmintelligenz seiner eigenen Follower und der gesamten Twitter-Community nutzt. Dafür fügt man einem Tweet das Hashtag #followerpower hinzu. Das zeigt den Lesern, dass man um Unterstützung bittet, zudem motiviert es so, sein Feedback zu äußern, direkt und unkompliziert, ohne inhaltliche oder formelle Schranken.

Politiker können alles erfragen, was sie der Twitter-Gemeinde zutrauen: Ideen, konkrete Beispiele oder Best Practice, Studien oder Experten, Probleme aus dem Wahlkreis, Feedback zu aktuellen Diskussionen, alte Zitate von Philosophen oder politischen Gegnern, spannende Veranstaltungen, Restaurants, Ansprechpartner in einer fremden Stadt, technische Fragestellungen und natürlich auch Hilfe beim Ausbau der Community, in der Art: 
„Nur noch 3 Follower bis 3333, wer macht die Schnapszahl voll? #followerpower“. 
Mittlerweile haben sich Hashtags allgemein und auch #followerpower in allen anderen dialogorientieren Netzwerken etabliert, bei Facebook etwa, Instagram oder Google+. Am besten funktioniert diese Art der digitalen Wissensvermehrung und Meinungsbildung aber weiterhin bei Twitter.

#followerpower-Tweet Malte Spitz (Grüne)
Auch wenn die genutzten Netzwerke immer nur ein Ausschnitt aus der Gesellschaft darstellen, die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass man mit seiner Frage mindestens einen Experten genau zum  Thema erreicht. Und jeder, der schon einmal von #followerpower profitiert hat, wird gerne mit Sachverstand weiterhelfen.

Wenn Politiker auf #followerpower setzen bedeutet das aber auch: Sie sollten selbst offen sein, zu antworten. Damit werden sie sicher viele positiv überraschen, denn kaum ein Bürger erwartet eine Antwort von einem Politiker. Zudem erreicht er so eine perfekte Zielgruppe: Nutzer, die sich gerade mit seinen Themen auseinandersetzen.

Followerpower ist die kleine Schwester der klassischen Meinungsumfrage. Schneller und kostengünstiger als auf Twitter können Politiker sich nirgendwo sonst eine Meinung zu aktuellen Diskussionen und Positionen einholen. Oftmals entscheidet im politischen Alltag ja neben dem Sachverstand auch das Bauchgefühl; die eigene Crowd (Followerschaft) hilft, Argumente zu testen und ein Gefühl für Stimmungen und Meinungen zu erhalten.
   

Best Practice in Schwaben


Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer lebt bereits #followerpower. Innerhalb von wenigen Tagen befragte das grüne Stadtoberhaupt seine Bürger zu so unterschiedlichen Themen wie: Wie findet Ihr Sexismus? Gibt es zu wenige rauchfreie Kneipen in Tübingen? Wollen Deutsche weg vom Auto? Wie gefallen euch die neuen Graffitis?

Screenshot Facebook
#followerpower bei Boris Palmer (Grüne)
Fast zu jeder Frage gab es unzählige Kommentare, Argumente und Gegenargumenteoft sehr konstruktiv. Am Ende jeder Diskussion hatte der Oberbürgermeister somit ein klareres Bild zu den Fragen, die ihn bewegen. Und er erreichte noch etwas: Durch die Beteiligung der Bürger wurden die Postings durch Likes, Shares und Kommentare in die Timelines der Freunde seiner Facebook-Freunde getragen. So erfuhren auch jene Bürger von seinen Fragen, die gar nicht mit Boris Palmer befreundet sind und die sich auch nicht mit Politik beschäftigen wollen. Gut möglich, dass sie sich so trotzdem eine Meinung bildeten und sich an der Diskussion beteiligten. Damit steigert Palmer mit seinen Fragen auch das Interesse an Kommunalpolitik und bindet mit dem ehrlichen und offenen Interesse die Bürger direkt an sich.

Diese Community hilft ihm nicht nur im Wahlkampf, sondern auch bei aktuellen Debatten: Durch das aufgebaute Vertrauen und die persönliche Nähe kann er seine Facebook-Freunde bei öffentlichen Debatten schnell und zielgerichtet mobilisieren, damit sie sich in seinem Sinne einsetzen – als Leserbriefschreiber, Kommentator, bei Bürgerbeteiligungsformaten oder im persönlichen Gespräch mit dem Nachbarn. Ein unschätzbarer Wert.

Eine langfristige aufgebaute und gepflegte digitale Community ist in meinen Augen wichtiger als ein paar Freiwillige, die im Wahlkampf Plakate aufhängen. Denn kontinuierlich eingebundene, ernst genommene und überzeugte Bürger überzeugen wiederum andere Bürger – stärker als es jedes Plakat kann.

Leben Sie #followerpower und hören Sie in Ihre Community hinein. Ihr Horizont wird breiter, ihr Wissen wird größer, sie sparen Zeit und Geld und am Ende der Legislatur haben sie auch noch viele Menschen mit wenig Aufwand direkt erreicht. Es lohnt sich!


Wie sehen Sie das? #followerpower 

Montag, 13. April 2015

Es gibt keine Shitstorms in der Politik

Ein Blog goes Papier. Im Magazin "politik & kommunikation" gibts meine Postings auch als Kolumne und auf Totholz. Seit dem Relaunch Anfang 2015 erscheint das Magazin in einer komplett runderneuerten Form. Der Schwerpunkt der ersten Ausgabe ist "Denken". Auch ich habe mir Gedanken gemacht und versuche die Angst vor Shitstorms zu nehmen.   

Hier das Cross-Posting dieser Kolumne. 

Manche Tweets und Kommentare verärgern, manche verletzten auch. Sehr. Es gibt auch Trolle im Netz,  deren Lebensinhalt nur darin besteht zu provozieren und aufzufallen. Und ja, manche Politiker – oder deren Unterstützer – inszenieren im Netz Kampagnen, die an Hetzjagden erinnern: Gezielt lassen sie Hass-Kommentar auf Hass-Kommentar folgen, Schmähkritik auf Schmähkritik. Doch trotz alledem bin ich der Meinung: Es gibt keine politischen Shitstorms! Und die Politik sollte deshalb keine Angst davor haben.

Cover "politik&kommunikation" Nr. 110
Allein der Begriff lässt jeden englischen Muttersprachler schmunzeln. Außerhalb von Deutschland kennt ihn niemand, Shitstorm wird dort allgemein für „unangenehme Situationen“ verwendet, die sich nicht auf die digitale Sphäre beschränken. In Deutschland hat der Begriff allerdings eine furiose Karriere hingelegt. Seit 2006 hat er sich vor allem durch die breite Medienberichterstattung in den Köpfen vieler Politiker eingenistet. Oft erlebe ich eine große Unsicherheit und Angst von politischen Akteuren bei der Nutzung von Social Media – Hauptgrund ist die Furcht vor einem Shitstorm. Könnte das meine Karriere beenden?, fragt sich manch einer.

Diese Angst lähmt nicht nur das Kommunikationsverhalten der Politik, es führt auch dazu, dass jede noch so berichtigte Kritik, die über digitale Kanäle geäußert wird, allzu schnell als „Shitstorm“ kategorisiert und – das ist das Fatale – damit ignoriert wird. Das ist der falsche Ansatz.

Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass nur ein geringer Teil von Kritik an Politikern oder ihren Positionen wirklich Schmähkritik ist. Vieles von dem, was geäußert wird, hat einen konstruktiven Kern.

So schaffen es wenige professionelle Provokateure (Trolle), mit ihren aggressiven und beleidigenden Statements eine politische Diskussion zum Beispiel auf Facebook abzuwürgen. Das ist sehr schade. Denn über jede Kritik sollte sich ein Politiker freuen. Bedeutet sie doch, dass sich Bürger mit seinen Positionen und mit seiner Arbeit auseinandersetzen. Das schlimmste wäre doch für unsere Demokratie, dass das politische Handeln teilnahmslos an der Bevölkerung vorbei geht. Daraus entsteht Demokratie- und Politikverdrossenheit. 
 
Symbolfoto: Analoger Hass
Der oft zitierte Hass, der sich im Netz schneller verbreitet, war schon immer da. Das Internet macht ihn lediglich transparent. Das kann man gut oder schlecht finden, aber immerhin bekommen Politiker so einen Eindruck, wie Teile des Volkes über ihre Arbeit und das Ansehen von Politik und Demokratie denken. Nicht zuletzt, die durch das Netz mobilisierte PEGIDA-Bewegung zeigte, dass ein Teil der Bevölkerung das Vertrauen in Politik verloren hat. Auch wenn die Argumente und Sprüche auf Deutschlands Straßen und im Netz noch so krude und wirr waren, es macht deutlich dass man sich damit auseinandersetzen muss. Mehr noch: In Zukunft muss die Politik noch viel stärker die Gedanken und Gefühle der Bürger wahrnehmen – und auf diese eingehen. Ansonsten verliert die Demokratie ihre Basis: die Wähler. Unter anderem ein gutes digitales Monitoring könnte helfen.

Harte politische Arbeit bei Dr. Matthias Bartke (SPD), MdB
Politik ist immer auch politische Kommunikation. Und Kommunikation im Jahr 2015 bedeutet nicht, dass man in eine Einbahnstraße ruft und hofft, dass alle die Idee gut finden. Politiker sollten sich stärker auf den Dialog fokussieren. Politiker sollten ihre harten politischen Alltag präsentieren, sie sollten zeigen, wie kräftezehrend es ist, einen Kompromiss zu finden, sie sollten das politische System erklären – und all das sollten sie genauso wichtig nehmen wie ihre Arbeit in Ausschüssen, ihre Treffen mit Interessenvertretern, das Studieren von Positionspapieren.

Jeder Dialog baut die Angst vor dem „Shitstorm“ etwas mehr ab. Wenn Sie es schaffen eine digitale Community an sich zu binden, dann wird diese Sie auch in kritischen Situationen verteidigen. Das müssen sie dann gar nicht mehr selber tun.

Zudem empfehle ich ein gewisses Maß an Souveränität um Umgang mit Kritikern: Nach einiger Zeit kennt man die „üblichen Verdächtigen“, weiß, wer pöbeln möchte und wer eine politische Kampagne im Hintergrund hat. Man muss lernen, diese Kritik zu ignorieren. Dabei hilft eine klar formulierte Netiquette, die transparent auf den Social-Media-Profilen präsentiert werden muss. Jeder, der dagegen verstößt, wird kommentar- und diskussionslos gelöscht. Nur so kann jeder Politiker individuell die politische Diskussionskultur auf seinen Profilen steuern.

Screenshot
Netiquette der Bundesregierung auf Facebook
Ich wünschte mir beispielsweise auch, dass sich alle demokratischen Parteien in Deutschland zusammenschließen und eine Erklärung zur politischen Diskussionskultur formulieren. Sie sollten darin klar aufzeigen, wo die Grenzen von Kritik liegen. Bisher sehe ich weder in der Politik – noch in den Medien, die vor den gleichen Problemen stehen - eine gesamtgesellschaftliche Bereitschaft für solch einen Schritt.

Dabei müssen Kritiker lernen, dass sie ihre Kommentare vor dem Veröffentlichen mitunter überdenken sollten und dass nicht jede verletzende Aussage die politische Diskussion voranbringt. Diesen Lernprozess durchleben die Medien, die Politik aber auch andere Teile der Gesellschaft gerade.  
Zudem wünschte ich mir mehr Souveränität im Umgang mit Trollen. Man kann Kommentare löschen – ihnen aber auch mit leichter Ironie begegnen. Die CDU versucht gerade, die guten Erfahrungen von WELT, Tagesschau und anderen Medien zu nutzen und stärker mit diesem Stilmittel zu arbeiten. Nachahmenswert,  finde ich.
 
Nicht zu vergessen: Für jede verletzende Schmähkritik gibt es Gesetze in Deutschland. Diese sollten  von den Betroffenen öfter genutzt werden.

Und zu guter Letzt ein smarter Hinweis von Regierungs-Twitterer Steffen Seibert. Bereits 2012 erklärte er, wie er mit allzu grenzwertiger Kritik im Netz umgeht: Twitter aus, Rechner aus und am nächsten Tag beginnt das Leben wieder bei 0. Aber, meine Hoffnung: In wenigen Jahren werden wir über Shitstorms ohnehin nicht mehr reden.   

Haben Sie keine Angst vor den Gedanken ihrer Bürger, wagen sie sich auch weiterhin in Dialoge. Es zahlt sich aus.   

Ergänzung eins
Und wenn man doch mal in einen seltenen Shitstorm gerät, gibt es Wege diesen zu begegnen. Christiane Germann hatte vor einigen Wochen in diesem Blog beschrieben, wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit einem Shitstorm souverän und erfolgreich umgegangen ist.

Ergänzung zwei
Danke an Christian Salzborn, der mich richtigerweise darauf hingewiesen hat, dass ich definitorisch nicht ganz sauber formuliert habe. Es gibt einen Unterschied zwischen Shitstorms und Flamwars

Tipp:
Unter dem Titel "Erregungskampagnen in Politik und Wirtschaft - Digitale Öffentlichkeit zwischen Candy- und Shitstorms"(.pdf)  haben Prof. Caja Thimm (Universität Bonn) und Prof. Christoph Bieber (Universität Duisburg-Essen) für die Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP) vor kurzem eine Studie vorgelegt, die sich auch mit Shitstorms in der Politik beschäftigt und u.a. der Frage nachgeht wie man darauf reagieren sollte und welche Konsequenzen Shitstorms für die politischen Akteure haben.