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In seinem Gastbeitrag erklärt der Wikipedia-Experte Markus Franz warum dies so ist und wie man das ändern kann.
Wikipedia entscheidet maßgeblich darüber, welche Informationen über einen Politiker im Umlauf sind – und welche nicht. Die Bedeutung der Enzyklopädie geht soweit, dass Politiker ohne eigenen Artikel öffentlich als nicht wichtig genug angesehen werden – und das trifft im Moment besonders die Piratenpartei.
Der
politische Einfluss der Wikipedia ist so groß, dass sogar führende Medien beliebige Informationen aus Artikeln fast ungefiltert übernehmen.
Falsche Angaben kommen nur selten ans Licht – wie beispielsweise im Fall des
Freiherrn zu Guttenberg, dem durch Wikipedia ein weiterer Vorname angedichtet
wurde. Die Bedeutung der Enzyklopädie für die kommende Bundestagswahl ist
immens, wie der Hamburger Wahlbeobachter kürzlich schrieb.
Vor
diesem Hintergrund kommt allerdings auch ein anderes Problem wieder ans
Tageslicht: Der Wähler hat nicht den Hauch einer Chance, sich vollständig in
Wikipedia über die politische Landschaft unseres Landes zu informieren. Obwohl Neutralität zuden unumstößlichen Grundprinzipien des Projekts gehört, werden viele
Kandidaten gar nicht erst erwähnt – während Abgeordnete, die schon gewählt sind
und wieder antreten, selbstverständlich einen eigenen Artikel vorweisen können.
Schuld
an diesem Dilemma sind die sogenannten Relevanzkriterien:
Sie bestimmen, dass nur solche Politiker in Wikipedia erwähnt werden sollen,
die bereits Mitglied eines nationalen Parlaments sind oder zumindest schon als
Abgeordneter gewählt wurden. Insgesamt kennt Wikipedia stolze 31 Möglichkeiten auf internationaler, nationaler, subnationaler und kommunaler Ebene, die ein Politiker erfüllen kann, um relevant
im Sinne der Enzyklopädie zu sein. Wer auf keines dieser Kriterien passt und
sich trotzdem um ein Mandat bewirbt, hat bis September erst einmal weniger
Chancen als der politische Gegner, sich dem Wähler zu präsentieren. Andere
Netzwerke wie Facebook, Twitter und Co. sind hier weit weniger wählerisch.
Sieht
man sich die bestehenden Regeln im Detail an, stellt man schnell fest, dass
eine bestimmte Partei mehr als alle anderen benachteiligt wird: Unter den 280 Direktkandidaten der Piratenpartei für die Bundestagswahl 2013 sind nur
knapp ein Dutzend Personen, die einen eigenen Artikel besitzen. Entweder haben
sie die von den Relevanzkriterien bevorzugte politische Ochsentour hinter sich
– oder sie sind ohnehin aufgrund ihres Berufes für die Wikipedia relevant, wie
beispielsweise Anne Helm.
Im direkten Vergleich schneiden die übrigen Parteien um ein Vielfaches besser
ab, insbesondere CDU und SPD können fast eine vollständige Abdeckung ihrer
Direktkandidaten durch Wikipedia vorweisen. Ein Blick in die entsprechenden
Kategorien der Parteien bestätigt dieses Bild noch einmal: Während Wikipedia
über 5.500 CDU- und sogar 7.900 SPD-Mitglieder kennt, kommt die Piratenpartei
nur auf magere 79 Einträge.
Obwohl
die Relevanzkriterien für Politiker und Träger öffentlicher Ämter nicht in
Stein gemeißelt sind, verschaffen sie etablierten Parteien doch ganz
offensichtlich einen gravierenden Vorteil. Zuletzt wurden die Regeln im Oktober
2011 verändert, allerdings ohne gravierende inhaltliche Auswirkungen. Eine
größere Veränderung der Kriterien ist auch eher unwahrscheinlich: Zwischen
August 2005 und März 2013 wurden die Richtlinien insgesamt 72 Mal diskutiert
und trotz der vereinzelt heftigen Debatte nur in 17 Fällen auch tatsächlich
angepasst. Wer heute erreichen wollte, dass auch Kandidaten ohne nennenswertes
politisches Vorleben – der klassische Quereinsteiger in den Bundestag, wie er
bei den Piraten häufig vorkommt – als relevant anzusehen wären, müsste schon
sehr gute Argumente vorbringen.
Lohnenswert wäre eine Debatte um die
Relevanzkriterien gerade für Politiker aber mit Sicherheit. Die Wikipedia
könnte nur davon profitieren, wenn alteingesessene Parteien und Politiker nicht
bevorteilt werden, gerade so kurz vor Wahlen – und sei es auch völlig
unabsichtlich. Natürlich behandelt Wikipedia manch kleine Partei noch
schlechter als die Piraten. Nur in ihrem Fall besteht jedoch eine reelle
Chance, tatsächlich in den Bundestag einzuziehen.
Übrigens: Bereits 2011 hatte Telepolis das Thema im Landtagswahlkampf Niedersachen aufgegriffen, damals durfte die Spitzenkandidatin der Partei Die LINKE. keine Wikipediaseite haben.
Autor
Markus Franz ist geschäftsführender Gesellschafter von Sucomo Consulting. Er berät kleine und große Organisationen in Fragen des
Umgangs mit Wikipedia und dem Umgang mit freiem Wissen allgemein.
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