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Montag, 15. Juli 2013

Bundestagswahl: Wikipedia benachteiligt die Piraten

Logo der deutschsprachigen Wikipedia 
Vor einigen Tagen veröffentlichte ich an dieser Stelle meine Kolumne aus der aktuellen "politik & kommunikation" in der ich Wikipedia als vernachlässigtes aber entscheidendes Wahlkampfsinstrument beschrieben hatte. Daraufhin meldeten sich einige Bundestagskandidaten, die gerne Wikipedia nutzen würden, es aber nicht dürfen. Schuld sind die klar formulierten "Relevanzkriterien". 

 


In seinem Gastbeitrag erklärt der Wikipedia-Experte Markus Franz warum dies so ist und wie man das ändern kann. 

Wikipedia entscheidet maßgeblich darüber, welche Informationen über einen Politiker im Umlauf sind – und welche nicht. Die Bedeutung der Enzyklopädie geht soweit, dass Politiker ohne eigenen Artikel öffentlich als nicht wichtig genug angesehen werden – und das trifft im Moment besonders die Piratenpartei.

Der politische Einfluss der Wikipedia ist so groß, dass sogar führende Medien beliebige Informationen aus Artikeln fast ungefiltert übernehmen. Falsche Angaben kommen nur selten ans Licht – wie beispielsweise im Fall des Freiherrn zu Guttenberg, dem durch Wikipedia ein weiterer Vorname angedichtet wurde. Die Bedeutung der Enzyklopädie für die kommende Bundestagswahl ist immens, wie der Hamburger Wahlbeobachter kürzlich schrieb.

Vor diesem Hintergrund kommt allerdings auch ein anderes Problem wieder ans Tageslicht: Der Wähler hat nicht den Hauch einer Chance, sich vollständig in Wikipedia über die politische Landschaft unseres Landes zu informieren. Obwohl Neutralität zuden unumstößlichen Grundprinzipien des Projekts gehört, werden viele Kandidaten gar nicht erst erwähnt – während Abgeordnete, die schon gewählt sind und wieder antreten, selbstverständlich einen eigenen Artikel vorweisen können.

Schuld an diesem Dilemma sind die sogenannten Relevanzkriterien: Sie bestimmen, dass nur solche Politiker in Wikipedia erwähnt werden sollen, die bereits Mitglied eines nationalen Parlaments sind oder zumindest schon als Abgeordneter gewählt wurden. Insgesamt kennt Wikipedia stolze 31 Möglichkeiten auf internationaler, nationaler, subnationaler und kommunaler Ebene, die ein Politiker erfüllen kann, um relevant im Sinne der Enzyklopädie zu sein. Wer auf keines dieser Kriterien passt und sich trotzdem um ein Mandat bewirbt, hat bis September erst einmal weniger Chancen als der politische Gegner, sich dem Wähler zu präsentieren. Andere Netzwerke wie Facebook, Twitter und Co. sind hier weit weniger wählerisch.

Sieht man sich die bestehenden Regeln im Detail an, stellt man schnell fest, dass eine bestimmte Partei mehr als alle anderen benachteiligt wird: Unter den 280 Direktkandidaten der Piratenpartei für die Bundestagswahl 2013 sind nur knapp ein Dutzend Personen, die einen eigenen Artikel besitzen. Entweder haben sie die von den Relevanzkriterien bevorzugte politische Ochsentour hinter sich – oder sie sind ohnehin aufgrund ihres Berufes für die Wikipedia relevant, wie beispielsweise Anne Helm. Im direkten Vergleich schneiden die übrigen Parteien um ein Vielfaches besser ab, insbesondere CDU und SPD können fast eine vollständige Abdeckung ihrer Direktkandidaten durch Wikipedia vorweisen. Ein Blick in die entsprechenden Kategorien der Parteien bestätigt dieses Bild noch einmal: Während Wikipedia über 5.500 CDU- und sogar 7.900 SPD-Mitglieder kennt, kommt die Piratenpartei nur auf magere 79 Einträge.


Urheber Markus Franz
Verteilung Wikipedia-Artikel nach Parteien

Obwohl die Relevanzkriterien für Politiker und Träger öffentlicher Ämter nicht in Stein gemeißelt sind, verschaffen sie etablierten Parteien doch ganz offensichtlich einen gravierenden Vorteil. Zuletzt wurden die Regeln im Oktober 2011 verändert, allerdings ohne gravierende inhaltliche Auswirkungen. Eine größere Veränderung der Kriterien ist auch eher unwahrscheinlich: Zwischen August 2005 und März 2013 wurden die Richtlinien insgesamt 72 Mal diskutiert und trotz der vereinzelt heftigen Debatte nur in 17 Fällen auch tatsächlich angepasst. Wer heute erreichen wollte, dass auch Kandidaten ohne nennenswertes politisches Vorleben – der klassische Quereinsteiger in den Bundestag, wie er bei den Piraten häufig vorkommt – als relevant anzusehen wären, müsste schon sehr gute Argumente vorbringen.

Lohnenswert wäre eine Debatte um die Relevanzkriterien gerade für Politiker aber mit Sicherheit. Die Wikipedia könnte nur davon profitieren, wenn alteingesessene Parteien und Politiker nicht bevorteilt werden, gerade so kurz vor Wahlen – und sei es auch völlig unabsichtlich. Natürlich behandelt Wikipedia manch kleine Partei noch schlechter als die Piraten. Nur in ihrem Fall besteht jedoch eine reelle Chance, tatsächlich in den Bundestag einzuziehen.

Übrigens:  Bereits 2011 hatte Telepolis das Thema im Landtagswahlkampf Niedersachen aufgegriffen, damals durfte die Spitzenkandidatin der Partei Die LINKE. keine Wikipediaseite haben.

Autor 

Markus Franz ist geschäftsführender Gesellschafter von Sucomo Consulting. Er berät kleine und große Organisationen in Fragen des Umgangs mit Wikipedia und dem Umgang mit freiem Wissen allgemein.






Bildnachweise: 

Fotocollage: Bildquelle (v.l.n.r.):
"Sebastian Nerz" © 2011 Tobias M. Eckrich, Creative Commons Attribution 3.0 Unported
"Katharina Nocun" © 2012 Miriam Juschkat, Creative Commons Attribution-Share Alike 1.0 Generic
"Bruno Kramm" © 2013 Ralf Lotys (Sicherlich), Creative Commons Attribution 3.0 Unported

Diagramm: © 2013 Sucomo Consulting, Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland



Freitag, 28. Juni 2013

Wikipedia im Wahlkampf - Vergesst Wikipedia nicht!


Weiße Schrift auf blauem GrundDer Hamburger Wahlbeobachter-Blog goes Papier. Von nun an werde ich kontinuierlich in der "politik & kommunikation" über "Social Media in der Politilk" schreiben. Die erste Kolumne aus der Juli/August-Ausgabe dreht sich um Wikipedia. Hier das Blog-Crossposting dieser Kolumne.

 

Wikipedia – im Wahlkampf unterschätzt und vernachlässigt


Die aktuellen Zahlen des Hightech-Verbandes BITKOM zur Relevanz des Internets für den kommenden Bundestagswahlkampf beeindrucken: Laut Forsa-Umfrage informieren sich schon heute 60 Prozent der Bürger über politische Inhalte im Internet. In der Gruppe der Erst- und  Jungwähler schlägt das Internet – mit Ausnahme des Fernsehens - sogar alle anderen Medien als meistgenutzte Informationsquelle. Sie nutzen dabei neben Online-Nachrichtenportalen vor allem Social Media. Dies gilt sowohl für Wähler als auch für Nichtwähler. Letztere informieren sich sogar noch intensiver in Blogs, Foren und sozialen Netzwerken.

Screenshot Wikipediaseite Angela Merkel (CDU)
Soziale Netzwerke werden in der Öffentlichkeit häufig mit Facebook und Twitter gleichgesetzt. Das greift allerdings zu kurz: Gerade YouTube, Google+, Politiker-Blogs und auch Wikipedia sind wichtige Kanäle für politische Informationen.

Parteien, Politiker und Wahlkampfmanager vernachlässigen Wikipedia dabei sträflich. Die freie Online-Enzyklopädie gehört wohl zu den meist unterschätzten Online-Plattformen im Wahlkampf.

Screenshot Wikipediaseite Peer Steinbrück (SPD)

Weil sich kaum noch Wähler direkt auf Webseiten von Parteien, Politikern oder Ämtern informieren, steigt die Relevanz von Wikipedia. Viele ehrenamtliche und unabhängige Wikipedianer arbeiten gemeinsam an den Artikeln, jeder kann den Entstehungsprozess nachvollziehen - dadurch genießt die Plattform eine hohe Reputation und den Ruf, ausgewogene Information anzubieten. Mit monatlich über 230 Millionen Aufrufen gehört die deutsche Wikipedia zu den zehn meistbesuchten Webseiten in Deutschland.
Abrufstatistik Wikipediaseite Angela Merkel (CDU)


Im vergangenen Monat Mai zum Beispiel riefen Nutzer die deutsche Seite über Angela Merkel (CDU) knapp 60.000 Mal auf, die von SPD-Herausforderer Peer Steinbrück mehr als 23.000 Mal und die der grünen Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt mehr als 10.000 Mal. Aber auch Politiker aus der sogenannten zweiten Reihe erhalten beachtliche Abrufzahlen: Dorothee Bär (CSU) beispielsweise mit mehr als 18.000 Abrufe, Sebastian Edathy (SPD) mit 4800 Abrufen, Hans-Christian Ströbele (Grüne) mit 3300 Abrufen oder auch Petra Pau (Die LINKE) mit mehr als 1500 Abrufen. Diese Zahlen werden zur Wahl hin noch stärker ansteigen.

Vorteilhaft ist auch, dass diese Informationen leicht auffindbar sind: Bei fast jedem Politiker gehört die Wikipedia-Seite zu den ersten Treffern in den Suchmaschinen. Teilweise sogar noch vor (inaktuellen) Webseiten und anderen Social-Media-Profilen.

Screenshot Wikipediaseite Katrin Göring-Eckardt (Grüne)
Da das Projekt von der Freiwilligkeit und dem Engagement des Schwarms lebt, sind viele Politikerprofileartikel unvollständig, nicht aktuell und teilweise auch falsch. Es gibt keine Chefredaktion, an die man sich wenden könnte und keine festen Zuständigkeiten. Jeder Politiker sollte daher selbst prüfen, ob alle wichtigen Informationen, Positionen und politischen Erfolge im Beitrag abgebildet sind. Ist dies nicht der Fall, sollte er diese Informationen ergänzen und aktualisieren. Wichtig dabei: Jede Editierung muss mit Quellen belegt werden.

Dabei sollten Politiker nicht versuchen, kritische Informationen zu unterschlagen. Gerade kritische Töne machen den Artikel glaubwürdiger.

Für die Bearbeitung sollten sich Politiker am besten ein verifiziertes Benutzerkonto anlegen. Das fördert die Transparenz innerhalb der Community und erhöht das Vertrauen gegenüber den Wikipedianern, wissen sie dann doch, wer den Artikel geändert hat.   

Also: Wahlkämpfer, vergesst Wikipedia nicht! Gerade für unbekannte Kandidaten und politische Neueinsteiger ist die Plattform wichtiger als viele andere Wahlkampfinstrumente.

Den Originalbeitrag in der politik & kommunikation finden Sie hier. 

Zusatz: Andere Autoren gehen sogar davon aus, dass Wikipedia im Bundestagswahlkampf 2013 wahlentscheidend sein wird. Wir werden sehen.