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Freitag, 11. Juni 2021

#deinewahl? Influencer:innen und ihr Einfluss auf die politische Meinung von Jugendlichen

Dies ist ein Gastbeitrag von Luisa Muth. Die vorliegenden Erkenntnisse sind Teil ihrer Bachelorarbeit an der Ludwigs-Maximilians-Universität München, die sie bei Prof. Dr. Hans-Bernd Brosius abgelegt hat. 

 

„Daher bitten wir alle: Wählt nicht die CDU/CSU, wählt nicht die SPD. Und wählt schon gar nicht die AfD […].“ (Rezo ja lol ey, 2019).

 

Das forderte Influencer Rezo zusammen mit über 90 YouTuber:innen in einem offenen Brief auf Social Media vor der Europawahl 2019. Millionen Aufrufe innerhalb weniger Tage stießen einen gesellschaftlichen Diskurs an, der Politik und Medien beschäftigte (Duckwitz, 2019). 


Screenshot aus Video von Rezo "Die Zerstörung der CDU"Quelle: YouTube @Rezo ja lol ey

 

Seit ein paar Jahren haben Rezo, Louisa Dellert und Co. das Phänomen „Influencer:innen“ über die Grenzen von Beauty, Gaming und Sport hinaus in den politischen Kontext gebracht. Durch ihre überwiegend junge Zielgruppe (JIM, 2019) bilden sie in der politischen Kommunikation eine erhebliche Säule in der Beeinflussung der politischen Meinung ihrer Nutzer:innen (Duckwitz, 2019). Doch können diese soweit in die politische Meinungsbildung von Jugendlichen vordringen, dass die jungen Erwachsenen ihr Wahlverhalten ändern? Diese und weitere Aspekte habe ich in meiner Bachelorarbeit zur Rolle von Influencer:innen in der politischen Meinungsbildung von Jugendlichen untersucht.


Das Meinungsführerkonzept

 

Zur theoretischen Fundierung diente mir unter anderem das Meinungsführerkonzept nach Lazarsfeld, Berelson und Gaudet (1944), angewendet auf den digitalen Bereich. Dies besagt, dass Personen oder Organisationen einen Einfluss durch Information und Persuasion in den sozialen Medien auf die Einstellungen und Handlungen anderer Personen haben (Geise, 2017, S.4). Gerade die starke Nutzung unter jungen Menschen machen Social Media Influencers (SMI) als potenzielle Meinungsführer bei Jugendlichen interessant.


Methodik 

 

Auf Grundlage dessen habe ich zwölf qualitative, halbstandardisierte Leitfadeninterviews mit Jugendlichen zwischen 16 und 22 Jahren geführt, die Influencer:innen nutzen. Im zweiten Schritt wurden die Interviews transkribiert, codiert und mithilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse und einer Typenbildung ausgewertet. Hierbei sollte angemerkt werden, dass meine Ergebnisse nicht auf die Grundgesamtheit übertragbar sind. Das Ziel meiner Studie war eine tiefergehende Betrachtung des Themas, welches auf Basis meiner Erkenntnisse in Folgestudien quantitativ untersucht werden kann. 


Verschiedene Nutzungsmuster & Wahrnehmungen von Influencer:innen


Die Nutzungszwecke der Influencer:innen variieren unter den Befragten stark: mal werden sie aus Interesse an dem jeweiligen Themenschwerpunkt, mal aus Sympathie, Unterhaltungsgründen, Zeitvertreib oder eben zur politischen Information genutzt. Letztere kann intendiert und nicht intendiert stattfinden, wenn SMI wie beispielsweise Stefanie Giesinger über Politik sprechen, obwohl der Themenschwerpunkt ihres Kanals ein anderer ist. 

Die Nutzungszwecke nehmen Einfluss auf das jeweilige Influencer:innen-Bild der Befragten. So werden SMI, die sich hauptsächlich mit Politik beschäftigen, seriöser und glaubwürdiger wahrgenommen. Denn die Befragten assoziieren sie nicht mit Werbung, sondern mit Information, Inhalten und der eigenen Meinung – ohne Einflüsse von außen. Durch die Thematisierung politischer Themen und die Äußerung ihrer eigenen Meinung sind sie jedoch auch öfter mit Hass konfrontiert, weshalb ihnen zusätzlich eine stärkere Persönlichkeit zugeschrieben wird. 

 


Quelle: Instagram @stefaniegiesinger

 

Politische Expertise fördert Glaubwürdigkeit 

Grundsätzlich können bei einigen Befragten Aspekte der Quellenglaubwürdigkeit nach Hovland, Irving & Kelley (1953) im Bezug auf SMI nachgewiesen werden. Die Glaubwürdigkeit ist höher, wenn sie keine Werbung machen, die Kommunikation an die junge Zielgruppe anpassen sowie transparente und fundierte Informationen liefern. Weiterhin sollten glaubwürdige Influencer:innen Expertise in einem Thema haben sowie konsistent und authentisch kommunizieren.

Vor allem politische SMI wie Rezo nehmen die Jugendlichen aus oben genannten Gründen besonders glaubwürdig wahr, was ein Einflusspotenzial politischer Influencer:innen  auf die politische Meinungsbildung von Jugendlichen zeigt und eine Meinungsmacht ausgehend von politischen SMI annehmen lässt.


Nachrichtenquelle Nummer 1: Tagesschau und Co. 

Es hat sich gezeigt, dass die jungen Erwachsenen die klassischen Medien zur Informations- und Nachrichtennutzung präferieren. Politische Influencer:innen werden bei höherem politischem Interesse ergänzend oder komplementär genutzt. Beispielsweise zur Diskussion von bereits rezipierten Inhalten aus den klassischen Medien oder zur Information über Themen, die von Tagesschau und Co. nicht thematisiert werden.  

Quelle: Instagram @louisadellert

Klassische Medien sind somit noch immer relevant für die Meinungsbildung von Jugendlichen. Influencer:innen, die ergänzend oder vertiefend zu einem Thema aus den Nachrichten genutzt werden, sind für die Meinungsbildung ebenso relevant. Denn SMI können zu einem Thema ihre Meinung äußern und hierzu ihre Zielgruppe mobilisieren, was sie bei einigen Befragten als digitale Meinungsführer qualifiziert. 

 

 

 

 

 

 

 

 

Einfluss auf die Wahlentscheidung

Der Einfluss von Influencer:innen auf die Wahlentscheidung von Jugendlichen variiert je nach Nutzungsmotiv, Bild und Glaubwürdigkeit der SMI sowie Alter, politischem Interesse und politischer Meinung der Jugendlichen. Vor allem bei Identifikation und Sympathie, ähnlichen Interessen und politischen Einstellungen zwischen Influencer:in und Follower:in sind SMI glaubwürdiger. Hier zeigt sich ein Verstärkereffekt nach Geißler (1981) der eigenen politischen Meinung durch die Nutzung von Influencer:innen. Die Befragten schätzen vor allem jüngere User:innen zwischen 16 und 19 Jahren sowie Erstwähler:innen als besonders leicht zu beeinflussen ein. Denn diese haben häufig eine weniger gefestigte eigene Meinung und identifizieren sich stärker mit den SMI, weshalb sie deren Botschaften einen höheren Glauben schenken. 

 

Verschiedene Beeinflussungstypen

Diese Erkenntnisse resultieren in vier Typen, die unterschiedlich stark von Influencer:innen in ihrer politischen Meinung und Wahlentscheidung beeinflusst werden: Die Politikinteressierten, die Vielseitig Interessierten, die Unterhaltungssuchenden und die Kommerziellen Nutzer:innen (absteigende Beeinflussung). Die größte Rolle nehmen SMI in der Meinungsbildung von politisch interessierten Jugendlichen sowie Nutzer:innen von politischen Influencer:innen ein. 



Nutzer:innen-
typen

Politik-
interessierte

Vielseitig Interessierte

Unterhaltungs-
suchende

Kommerzielle
Nutzer:innen

Politisches Interesse & Partizipation

Jeweils hoch

Hohes pol. Interesse, mittlere pol. Partizipation

Jeweils mittel

Mittleres pol. Interesse, keine pol. Partizipation

Nutzungs-
zweck Influencer:in

Politische Information

Information & Inspiration im eigenen Interessensgebiet

Zeitvertreib & Unterhaltung

Tipps & Empfehlungen, für einen Mehrwert

Definition Influencer:in

Beeinflussung & Information ihres Publikums

Vermittlung von Informationen auf einem bestimmten Gebiet.

Haben eine bestimmte Aufgabe inne, wie die Unterhaltung ihrer Zuschauer:innen

Unternehmens-
botschafter:in & Produktvermarkter:in

Nutzungs-
häufigkeit

Täglich

Tägl.-mehrmals wöchentl.

Selten

Tägl.- mehrmals wöchentl.

Informations-nutzung

Hauptquelle d. Informations-
nutzung i. d. klass. Medien, SMI helfen bei der Einordnung des v. d. Medien gesagten.

Klassische Medien & Online-Medien. Influencer-
Nutzung ist ebenfalls möglich.

Klassische Medien & Online-Medien. Influencer werden nicht genutzt.

Hauptsächlich über klassische Medien

Meinungs-
führerschaft

Vorhanden

Vorhanden in genutzten Themenbereich, möglich bei pol. Nutzung

Nicht vorhanden

Vorhanden auf dem Gebiet der Produktempfehlungen

Glaubwür-
digkeit

Groß

Groß, wenn Seriosität wahrgenommen 

Gering

Sehr gering

Beeinflus-
sungspotenzial

Hoch. Wird positiv gesehen, da Influencer:in genutzt wird, die dieselbe pol. Meinung hat.

Mittel. Bei Rezeption fundierter Information hoch, sonst gering. Wahlentscheidung über klass. Medien.

Gering. Bei seltener Nutzung pol. Influencer wie Rezo vorhanden.

Sehr gering. Pol. Äußerungen werden abgewertet.

Nutzertypentabelle, Quelle: eigene Darstellung

 

Meine Studie hat gezeigt, dass Influencer:innen durchaus einen Einfluss auf die politische Meinungsbildung und Wahlentscheidung der Jugendlichen nehmen. Jedoch ist dieser eher als eine Vertiefung der eigenen Meinung zu sehen und je nach persönlichen Prädispositionen verschieden ausgeprägt. 




Autorin 

Luisa Muth hat an der Ludwig-Maximilians-Universität München Kommunikationswissenschaft mit Politikwissenschaften im Nebenfach studiert, wobei sie sich viel mit Online-Kommunikation und Rezipientenforschung beschäftigte. Zurzeit arbeitet sie in einer Agentur für Campaigning und beginnt im Herbst 2021 ihr Masterstudium.

 

Kontakt: LinkedIn



 

 

Quellen

Duckwitz, A. (2019). Influencer als digitale Meinungsführer. Wie Influencer in sozialen Medien den politischen Diskurs beeinflussen – und welche Folgen das für die demokratische Öffentlichkeit hat. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung.

Geise, S. (2017). Meinungsführer und der Flow of Communication. In P. Rössler, & H.-B. Brosius (Hrsg.), Konzepte. Ansätze der Medien- und Kommunikationswissenschaft (Band 19). Baden-Baden: Nomos.

Geißler, R. (1981). Wandel durch Massenmedien. Die Verstärker-Doktrin neu durchdacht. COMM, 7, 169-185.

Hovland, C. I., Irving L. J., & Kelley, H. (1953). Communication and Persuasion. Psychological Studies of Opinion Change. London: New Haven.

Lazarsfeld, P.F., Berelson, B., & Gaudet, H. (1944). The People’s Choice. How the Voter Makes Up His Mind in a Presidential Campaign. New York: Duell, Sloan and Pearce.

Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest. (2019). JIM-Studie 2019. Jugend, Information, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. Online abgerufen unter: http://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2019/JIM_2019.pdf (13.10.2020).

Rezo ja lol ey (2019). Ein Statement von 90+ YouTubern. Online abgerufen unter: https://www.youtube.com/watch?v=Xpg84NjCr9c (27.11.2020).

 


Freitag, 13. November 2020

Wer hasst wen? – Hate Speech auf den Facebook-Seiten politischer Parteien

Dies ist ein Gastbeitrag von Bastian Rosenzweig, er hat im letzten Semester sein Bachelorstudium in Kommunikationswissenschaft, Philosophie und Soziologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg abgeschlossen. Im Blog präsentiert er zentrale Ergebnisse seiner Bachelorarbeit zum Thema Hate Speech auf den Facebook-Seiten deutscher Bundesparteien. Hierzu analysierte er die zwischen 2016 - 2018 auf den Facebook-Seiten von CDU, CSU, SPD, LINKE, Grünen, FDP und AfD veröffentlichten Kommentare.        

 

Logo Otto-Fiedrich-Universität Bamberg
Logo Otto-Fiedrich-Universität Bamberg
Am 1. Juni 2019 erschießt der rechtsextreme Stephan Ernst den CDU-Politiker Walter Lübcke. Sowohl im Vorfeld wie auch danach wird der Mord im Internet von Hasskommentaren begleitet. Unter anderem hetzen die AfD-nahe Ex-CDU-Politikerin Erika Steinbach und der rechtsextreme Blog PI-News mit einem vier Jahre alten Video gegen Lübcke. Morddrohungen, die in Reaktion darauf in den Kommentaren auftauchen, werden nicht gelöscht. In den Tagen nach der Tat werden Beiträge veröffentlicht, die Freude über den Tod des Politikers ausdrücken. Auch Stephan Ernst selbst räumte später ein, in der Zeit vor der Tat unter einem Pseudonym Hasskommentare gepostet zu haben.

 

Hate Speech

Der Fall Lübcke zeigt in aller Deutlichkeit, was schon länger klar ist: dass sich Hate Speech im Internet nicht von der „realen“ Welt trennen lässt. Hassbeiträge wirken auf individueller Ebene ähnlich wie Mobbing, auf gesellschaftlicher Ebene können sie den Diskurs verzerren und die strukturelle Benachteiligung bestimmter Gruppen reproduzieren. In einer Studie der Landesanstalt für Medien NRW gibt über ein Drittel der Befragten an, von Hasskommentaren verängstigt zu sein. Eine Umfrage von Campact ergab, dass sich circa die Hälfte der Befragten wegen Hate Speech seltener zu ihrer politischen Meinung bekennen.

Unter Hate Speech fallen in den gängigen Definitionen alle Äußerungen, die die Herabsetzung (also nicht etwa die Kritik) bestimmter, meist marginalisierter, Gruppen zum Ziel haben. Darunter fallen beleidigende Beiträge, die auf ganze Gruppen abzielen, aber auch herabwürdigende Äußerungen gegenüber Einzelpersonen, sofern die Herabwürdigung mit der (vermeintlichen) Gruppenzugehörigkeit begründet wird.

Abbildung 1. Tortendiagramm mit Facebook-Abonnierende nach Partei
Abb 1. Facebook-Abonnierende nach Partei
Um das Ausmaß von Online Hate Speech besser einschätzen zu können, wurden in der vorliegenden Arbeit die Facebook-Seiten der aktuell im Bundestag vertretenen Parteien analysiert. Untersucht wurde unter anderem, wie hoch im Zeitraum von 2016 bis 2018 der Anteil an Hasskommentaren war, welche Themen dort Hate Speech nach sich zogen und welche gesellschaftlichen Gruppen davon betroffen waren.

 

 

 

 

 

Das Ausmaß

In den drei Jahren wurden insgesamt 4.447.947 Kommentare auf den Facebook-Seiten der sieben Parteien veröffentlicht, aus denen dann eine einfache Stichprobe gezogen wurde. Hate Speech findet sich in 4,33% der Beiträge. Bei der AfD (auf die 32% aller Abonnierenden und über ein Drittel aller Kommentare abfallen) ist dieser Anteil mit 6,79% am höchsten. Darauf folgen die Grünen mit 4,76% und die Linken mit 3,38%. Da Kommentare bei Facebook von den Seitenbetreiber*innen gelöscht werden können, muss man davon ausgehen, dass der Anteil eigentlich größer ist.

Balkendiagramm Anteil an Hasskommentaren nach Partei
Abbildung 2: Anteil an Hasskommentaren nach Partei und Jahr


 

Welche Themen ziehen Hasskommentare nach sich?

Wo Hasskommentare veröffentlicht werden sagt nur bedingt etwas über deren Inhalt aus, da ja auch Rechtsradikale bei den Linken kommentieren können oder Linke bei der AfD. Aufschlussreicher ist da ein Blick auf den Inhalt bzw. die Gruppe, die das Ziel der Hassbeiträge ist. Hate Speech findet sich unter Posts zu fast allen Themen. Der größte Anteil fällt hierbei ab auf die Themen Frauenrechte (15,38%), Terrorismus (11,32%) und Rechtsextremismus (10,91%).

Abbildung 3:  Balkendiagramm mit Themen, die Hasskommentare nach sich ziehen
Abbildung 3: Themen, die Hasskommentare nach sich ziehen

 

Wer ist betroffen?

Opfer von Hate Speech sind in 46,67% der Fälle Migrant*innen, im Jahr 2017 lag der Anteil sogar bei 69,23%. Der am häufigsten gelikete Hasskommentar fällt ebenfalls in diese Kategorie und beinhaltet die Aussage: „Hälse durchschneiden , das ist was sie kennen und wollen …“ Er wurde 2018 auf der Facebook-Seite der AfD veröffentlicht und bis zur Erhebung im März 2019 nicht entfernt. Des Weiteren richten sich die Hassbeiträge gegen Politiker*innen im Allgemeinen (14,44%), Muslim*innen (12,22%) und Linke (10%). Auffällig ist, dass Hasskommentare bei den Linken in 60% der Fälle auf Linke abzielen. Auch hier scheinen also eher rechts gesinnte Personen zu kommentieren.

Abbildung 4: Balkendiagramm Betroffene nach Jahr
Abbildung 4: Betroffene nach Jahr

 

Die vor allem von Anhänger*innen der AfD immer wieder bemühte These, Rechte bzw. Konservative seien ebenso oft Opfer von Hate Speech wie alle anderen konnte nicht bestätigt werden. Nur 1,11% aller Hasskommentare richten sich gegen rechte/konservative Personen. Viel mehr lässt ein Großteil der Hasskommentare auf eine rechtsextreme Gesinnung des*der Verfasser*in schließen. Wenn man sich die Definition von Hate Speech ansieht, ist auch nichts anderes zu erwarten: Die Herabsetzung benachteiligter gesellschaftlicher Gruppen wird i. d. R. von rechtspopulistischen bis konservativen Kräften vorangetrieben.

 

Hate Speech in der Echokammer

Ein weiteres Ergebnis, das aus der Arbeit hervorgeht ist, dass Kommentare, die Hate Speech enthalten öfter mit „Gefällt mir“ markiert werden als Kommentare ohne. Neutrale Beiträge erhalten im Schnitt 2,60 Likes, bei Hasskommentaren liegt diese Zahl bei 4,73. Auch hier gibt es zwischen den Parteien große Unterschiede: Bei der SPD, CDU, FDP und Linken werden Hasskommentare seltener geliket als neutrale Beiträge. Einzig bei den Grünen (2,17 zu 1,81), der CSU (2,3 zu 1,87) und der AfD (5,97 zu 2,89) werden Hasskommentare häufiger mit „Gefällt mir“ markiert, bei der AfD sogar mehr als doppelt so häufig. Da die Hate Speech-Beiträge hauptsächlich auf rechtsradikale bis rechtsextreme Gesinnungen schließen lassen, kann man aufgrund dieser Zahlen davon ausgehen, dass die Seite der AfD eine Art Echokammer für solcherlei Ansichten bildet.

Auch wird auf Posts (der Parteien selbst), die bereits Hate Speech enthalten häufiger mit Hasskommentaren reagiert wird als auf andere. Auf „neutrale“ Posts folgt in 4,23% der Fälle Hate Speech, bei Hassposts ist dieser Anteil mit 8,47% ungefähr doppelt so hoch. Da die AfD die einzige Partei ist, die regelmäßig selbst Hate Speech-Beiträge veröffentlicht, kann man vermuten, dass sie selbst zum Anteil der Hasskommentare beiträgt.

 

Rechtsextremer Hass

Insgesamt ist erkennbar, dass Hate Speech erstens häufig (in mindestens 4,33% der Fälle) anzutreffen und zweitens eine vor allem rechtsextreme Angelegenheit ist.

4.33% scheinen kein so großer Anteil zu sein. Allerdings muss man beachten, dass hierunter wirklich nur Hate Speech fällt und keine reinen Falschinformationen, Beleidigungen oder harmlosere hämische Kommentare. Ebenfalls ist zu berücksichtigen, dass sechs der sieben Parteien angeben, solche Beiträge zu löschen. Zudem enthalten über 35% der Posts auf die sich die Kommentare beziehen nur harmlose parteibezogene Inhalte wie Mitgliederwerbung, anstehende Termine oder Feiertagswünsche.

Abbildung 5: Tortendiagramm Politische Einordnung der Hasskommentare
Abbildung 5: Politische Einordnung der Hasskommentare

Dass das Phänomen Hate Speech tendenziell rechtsextremer Natur ist, ist einerseits an den betroffenen Themen und Gruppen erkennbar, andererseits auch am Facebook-Auftritt der AfD selbst. So ist sie die einzige Partei, die keine Kommentarregeln auf ihrer Seite eingebunden hat und auch keine solchen anzuwenden scheint, da sie eine hohe Zahl von Hasskommentaren stehen lässt, selbst wenn darin gefordert wird, anderen Menschen die Hälse durchzuschneiden. 

 

Die komplette Bachelorarbeit von Bastian Rosenzweig gibt es bei Das NETTZ zum Download

 

Autor 

Portrait Bastian Rosenzweig
Bastian Rosenzweig
Bastian Rosenzweig studiert an der Friedrich-Schiller-Universität Jena Philosophie im Master. Zuvor absolvierte er ein Bachelorstudium in Kommunikationswissenschaft, Philosophie und Soziologie an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg, in dessen Rahmen er sich mit Online Hate Speech beschäftigte.

Twitter: @bastianrosen2g

 

 

 

 

 

Mittwoch, 31. Juli 2019

Wie vertrauenswürdig sind Social-Media-Quellen aus Sicht deutscher NachrichtenjournalistInnen?

Dies ist ein Gastbeitrag von Dr. Florian Wintterlin vom Institut für Kommunikationswissenschaft in Münster. Die vorgestellten Ergebnisse sind Teil seiner Promotion am DFG-Graduiertenkolleg für „Vertrauen und Kommunikation in einer digitalisierten Welt“. Die veröffentlichte Version der Dissertation ist bei Nomos unter dem Titel „Quelle: Internet. Journalistisches Vertrauen bei der Recherche in sozialen Medien“ erschienen und kann hier erworben werden.

Florian Wintterlin
Buchcover: Quelle: Internet
Beginnen wir mit einem Gedankenexperiment: Man stelle sich vor, man sei JournalistIn bei einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender im Newsroom in Mainz oder Hamburg. Es ist bislang ein Tag mit weitgehend im Voraus geplanten Beiträgen, für die Hauptnachrichtensendung am Abend steht das Gerüst. Doch plötzlich kommt über den Ticker eine Nachricht rein, die Breaking News-Potential hat. Doch die Nachrichtenlage ist schwierig. Eigene Korrespondenten sind nicht vor Ort und auch Kollegen anderer Medien fehlen; offizielle Stellen geben nur spärliche Informationen heraus, um keine Falschinformationen zu verbreiten. In solchen Situationen bietet das Internet und speziell Social Media ein Reservoir an Rohmaterial, das potentiell dazu geeignet ist, dieses Informationsvakuum zu füllen.

Gleichzeitig ist die Verlockung des einfach verfügbaren Materials mit Risiken verbunden. Über die Quellen sind wenige Informationen bekannt, oftmals fehlen Vorerfahrungen mit den dahinter stehenden Personen und Institutionen. JournalistInnen befinden sich demzufolge im Dilemma, schnell zu berichten und nur wahrheitsgemäße Informationen kommunizieren zu wollen.  

In meiner Promotion habe ich mir die Frage gestellt, in welchem Umfang derartige distanzierte Quellen überhaupt verwendet werden und wie die Vertrauenswürdigkeit der Quellen überprüft wird. Beantwortet wurden die Forschungsfragen mit einer Inhaltsanalyse der Berichterstattung über 8 Krisen (2011 bis 2015, Erhebungszeitraum: die ersten 4 Tage nach dem Ereignis) in mehr oder weniger weit entfernten Gebieten in TV-, Radio-, Print- und Onlinenachrichten, Leitfadeninterviews mit ExpertInnen für Social Media und Verifikation in 12 deutschen Nachrichtenmedien (2014-2015) und einem Survey mit 411 JournalistInnen aus Deutschland und Großbritannien (2016).

 

Wie häufig wird Social-Media-Material in der Krisenberichterstattung verwendet?


Die Inhaltsanalyse hat gezeigt, dass besonders in Online-Nachrichten Social-Media-Material sehr präsent ist. 59% der untersuchten Beiträge stützen sich zumindest teilweise auf Informationen aus Social Media. Bei Fernsehnachrichten sind es 25%, Print und Radio folgen mit 14 bzw. 10%.
Abbildung 1. Anteil der Beiträge mit Social-Media-Material


In der Befragung gaben 87% der Befragten an, zumindest selten (in mehr als einem Drittel ihrer Beiträge) Social-Media-Material zu verwenden. Twitter ist für die JournalistInnen die wichtigste Informationsquelle gefolgt von Facebook, Blogs und Youtube.
Abbildung 2. Anteil der Social-Media-Beiträge im Zeitverlauf


Im Zeitverlauf der Berichterstattung nach aktuellen Ereignissen nimmt der Anteil der Beiträge mit Social-Media-Material ab. Das ist ein erstes Indiz dafür, dass Social-Media-Material als Lückenfüller betrachtet wird und möglichst schnell durch andere Quellen ersetzt wird.

 

Wie wird die Vertrauenswürdigkeit distanzierter Quellen überprüft?


Aus den Interviews mit JournalistInnen konnte ein Modell entwickelt werden, das die Überprüfung der Vertrauenswürdigkeit als Abwägung von wahrgenommenem Risiko und wahrgenommener Vertrauenswürdigkeit beschreibt.
Abbildung 3. Risikowahrnehmung und Vertrauenswürdigkeit von Quellen aus Sicht von JournalistInnen  

Danach sind es eben nicht nur Merkmale des Inhalts oder der Quelle, die entscheidend für die Verwendung des Materials in der Berichterstattung sind, sondern ebenso Kontextfaktoren wie die Relevanz des Themas der Berichterstattung und die Verfügbarkeit von Informationen anderer Quellen, die Einfluss darauf nehmen, ob JournalistInnen Social Media in ihre Berichte einbinden.
„Breaking News heißt: Du musst sofort agieren. Und das widerspricht natürlich der Verifizierung und dem ganzen Prozess.“ (öffentlich-rechtlicher Fernsehjournalist) 
Social-Media-Material, das nur zur Bebilderung oder Ergänzung anderer Informationen dient, wird oftmals ohne aufwendige Überprüfung der Vertrauenswürdigkeit verwendet

Die konkreten Verifikationsstrategien waren in deutschen Redaktionen zum Zeitpunkt der Erhebung noch wenig standardisiert und bestanden weitgehend aus klassischen journalistischen Recherchetechniken, wie dieses Zitat eines Fernsehjournalisten zeigt:
 „Es geht auch einfach darum, Landkarten zu benutzen, Wetterberichte einzuholen, also ganz banale Informationen. Ob es zum Beispiel stimmen kann, dass dieser Beitrag an diesem Tag stattgefunden hat, wenn strahlender Sonnenschein ist, und es wird eine Flut angekündigt, dann kann es ja nicht hinhauen. Also, es sind oft weniger komplizierte Sachen als man immer glaubt, was so Tools angeht.“  

Dieses Zitat eines Agenturjournalisten illustriert das Vorgehen beispielhaft am Fall eines abgeschossenen Kampfjets:
„Als dieser russische Kampfjet von türkischen Streitkräften an der Grenze abgeschossen wurde, gab es in sozialen Medien ein Video zu sehen, das angeblich den abgeschossenen Jet zeigen sollte, und auch den einen Piloten. Und das ist so der Klassiker, wo wir zunächst mit sehr spitzen Fingern rangehen. Wir haben uns dann aber mehrere Videos im Internet aus verschiedenen Kameraperspektiven zu diesem Ereignis ansehen können, haben die miteinander verglichen, haben die Uniformen überprüft, haben die Aufschriften auf der Maschine gegenrecherchiert – und kamen dann eben zu dem Ergebnis: Ja, diese Videos sind tatsächlich authentisch.“
Abbildung 4. Strategien zur Überprüfung der Vertrauenswürdigkeit distanzierter Quellen
Avancierte Strategien wie die technische Verifikation oder die crowd verification, bei der das Netzwerkpotential von Social Media genutzt wird und unverifiziertes Material veröffentlicht wird, um Kollegen und Follower an Verifikationsprozess teilhaben zu lassen, werden eher selten verwendet.

Der Umgang mit Restunsicherheit


Trotz aller Verifikationsbemühungen bleiben oftmals Zweifel an der Authentizität des Materials. Im Regelfall wird diese Unsicherheit mit Hinweisen auf die Vertrauenswürdigkeit des Materials an die RezipientInnen weitergegeben.
Abbildung 5. Kommunikation von Unsicherheit bei Social-Media-Material

Nach den Ergebnissen der Inhaltsanalyse geschieht das bei nicht-professionellen Quellen, die nicht berufsbedingt mit Medien zu tun haben, in einem Viertel der Fälle. Auch in den Leitfadeninterviews gab es einen großen Konsens über diese Vorgehensweise. Einzelne JournalistInnen wenden sich jedoch gegen diese Art des Umgangs mit Unsicherheit.
„Ich finde, dass dieser Satz ‚Wir konnten die Quellen nicht überprüfen, sie sind nicht von uns, sie sind uns unbekannt‘, dass dieser Satz total bekloppt ist. Entweder habe ich genug getan, dass ich sage: Das sende ich. [...] Oder aber ich sage: Ich kann nichts kontrollieren, dann zeige ich es auch nicht.“

Generell zeigen alle drei Studien, dass die Unsicherheit der JournalistInnen beim Umgang mit Social-Media-Material hoch ist und durch die Geschwindigkeit der Berichterstattung noch potenziert wird. Wie darauf reagiert wird, ist aber entscheidend für die Glaubwürdigkeit des Journalismus.
„Wir müssen uns frei machen von diesem Druck, wir müssen im Zweifel aber eben auch offen erklären, warum wir jetzt langsamer sind, weil wir eben sagen: Uns reicht es nicht, einen Tweet zu retweeten.“ (Agenturjournalist) 

Erste Ergebnisse anderer Studien zeigen, dass auch bei RezipientInnen der Leitsatz „be first, but first be right“ nach wie vor unterstützt wird.



Autor: 

Dr. Florian Wintterlin
Dr. Florian Wintterlin wurde an der Universität Münster in Kommunikationswissenschaften promoviert. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit Vertrauen im Journalismus, journalistischer Verifikation, nutzergenerierten Inhalten und Desinformationen online. 

Twitter: @Flo_Wintt