Montag, 2. Juni 2014

Der Europawahlkampf im Netz: Veraltete Webseites, inaktuelle Social-Media-Profile und fehlende Interaktion

Dies ist ein Gastbeitrag von Dr. Götz Harald Frommholz. Er leitet den gemeinnützigen, unabhängigen und überparteilichen Think Tank d|part, der sich mit der Erforschung und Förderung politischer Partizipation auseinandersetzt.

Eine qualitative Analyse des Onlinewahlkampfs zur Europawahl 2014


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Diese Europawahl war richtungweisend. Zwei Aspekte waren von besonderer Bedeutung: Es gab erstmals europaweite Spitzenkandidaten und die kleinen Parteien konnten sich über den Wegfall der Dreiprozenthürde freuen. Diese beiden Faktoren allein waren schon ein Grund für uns, unsere Bundestagsstudie, in der wir den Onlinewahlkampf von 156 Bundestagskandidatinnen und -kandidaten beobachtet haben, für die Europawahl erneut aufzulegen (Frommholz and Hübner 2013). Im Fall 'Europa' haben wir den Onlinewahlkampf anhand einer Zufallsstichprobe von 125 Kandidaten untersucht. Da es bei dieser Wahl keine Wahlkreise gab, haben wir uns auf die Zufallstreffer der Wahlliste beschränkt. Unsere Stichprobe verteilt sich auf 25 Parteien mit je 5 Kandidaten. Zusätzlich haben wir zufällig, nicht-kontinuierlich einzelne Kandidatinnen und Kandidaten beobachtet und analysiert. 


Wie schnell zu erkennen ist, handelt es sich bei dieser Studie nicht um eine repräsentative Erhebung. Viel mehr ist sie eine qualitative Onlineanalyse, die Indikatoren für das Wahlkampfverhalten im Internet aufzeigt. Ich werde mich deshalb auf den qualitativen Aspekt der Ergebnisse beschränken und hier vorab der Fertigstellung des Forschungsberichts einige zentrale Beobachtungen vorstellen.

Quelle: bpp.de Die Beteiligungsprognosen für die Europawahl sahen denkbar schlecht aus und man konnte schon befürchten, dass das historische Beteiligungstief für Deutschland von 43,3% im Jahr 2009 weiter unterboten werden könnte. Somit war es interessant, zu beobachten, inwiefern die oben genannten Faktoren sowie die vielerorts parallel stattfindenden Kommunalwahlen die Menschen für die Wahl mobilisieren. Mit einer Wahlbeteiligung von 48,1% der Deutschen wurde ein größeres Legitimitätsdebakel zwar verhindert, doch können wir festhalten, dass die drei Faktoren (Spitzenkandidaten, 3 Prozent-Hürde, Kommunalwahlen) nicht zu einer maßgeblichen Mobilisierung der Nicht-Wähler in Deutschland beitragen konnten. Europa scheint für die Bürgerinnen und Bürger einfach zu weit weg und zu abstrakt.

Der Wahlkampf der Parteien konnte die Menschen offenbar nicht begeistern. Wenn man sich das Onlineverhalten der Kandidatinnen und Kandidaten anschaut, dann ist das recht gut nachvollziehbar. 

Das Internet entwickelt sich zur zentralen Informationsquelle, wird zukünftig die Basis für die politische Kommunikation sein und dient unter anderem der Wählermobilisierung (bspw. Dolata and Schrape 2014; Vonbun and Schönbach 2014; Voss 2014; Vowe 2014). Bei der Untersuchung der Europawahl konnten wir feststellen, dass die Qualität der Internetauftritte - mit Ausnahme der Spitzenkandidaten und einiger Einzelner - recht niedrig gewesen ist. Dass das Internet bei dieser Europawahl kein Erfolgsfaktor gewesen sein kann, wird noch deutlicher, wenn man sich die Webseiten der gewählten MdEP anschaut. Ich habe mir mal die Mühe gemacht und alle 96 der in Deutschland gewählten Parlamentsmitglieder angeschaut. Auch hier ist das Ergebnis ernüchternd.

Thüringer Europaabgeordneter
Webseite von MEP Dr. Dieter L. Koch (CDU)
Viele Homepages machen einen veralteten Eindruck. Neue etablierte Technologien wie 'Responsive Design' sind nicht zu sehen. Die Integration sozialer Netzwerke und partizipativer Funktionen geschieht selten. Die Grünen-Abgeordneten machen noch den frischesten Eindruck. Auch die MdEP der CSU präsentieren sich mit überwiegend guten Webseiten. Die SPD ist generell besser aufgestellt als die CDU. Die kleinen Parteien fallen besonders schlecht auf: Abgesehen von den Piraten, nutzen ihre Kandidaten die Möglichkeiten des Internets wenig bis gar nicht. Auch der Erfolg der AfD ist sicher nicht auf einen besonders guten Internetwahlkampf zurückzuführen. Zum Beispiel besitzt Spitzenkandidat Bernd Lucke keine eigene Homepage und ist nur auf Twitter und Facebook unterwegs. Lediglich auf der Parteiseite gibt es ein Profil.

Facebookseite MEP Kerstin Westphal (SPD)
Zugegebenermaßen sind Kandidatenhomepages im Zeitalter der sozialen Netzwerke sicher nicht das einzige Kriterium für einen guten Internetwahlkampf. Ein Großteil der Kandidaten, Kandidatinnen und MdEP besitzen neben einer Homepage auch Konten für soziale Netzwerke. Hier konnten wir ähnliche Beobachtungen wie zur Bundestagswahl 2013 machen: Die Quantität der Konten der sozialen Medien sagt nichts über die Qualität der Betreuung aus. Facebook, Twitter und Co werden meist als digitale Litfaßsäule genutzt, auf denen Wahlplakate und Slogans gepostet werden. Der interaktive und partizipative Charakter sozialer Medien wird selten genutzt. 

Der direkte Kontakt zum Wähler/zur Wählerin kommt nicht zu Stande. Damit sehen wir die Beobachtungen von Andreas Elter (2013) bestätigt, dass Parteien es oft nicht über soziale Netzwerke schaffen, einen konstanten Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern herzustellen. Das hat mindestens zwei Gründe: Es fehlt die Interaktion wegen mangelnder Kommunikation oder nicht aktivierter Kommentarfunktionen. Andererseits müssen soziale Netzwerke auch gepflegt werden. Es fiel immer wieder auf, dass Kandidatinnen und Kandidaten zwar Twitter, Youtube, Google+ oder Facebook auf ihren Webseiten verlinken, diese Konten aber verwaist sind. So ist es durchaus vorgekommen, dass das letzte Video auf dem eigenen Youtube-Kanal 2013 hochgeladen oder der letzte Post auf Google+ 2012 erfolgte. 

Mein Tipp: Es machte einen schlechteren Eindruck, ungepflegte Konten in den sozialen Medien zu haben als keine zu besitzen. 


Fazit


Der Onlinewahlkampf und die Interaktion mit den Bürgerinnen und Bürgern war auch bei der Europawahl dürftig und hat sich in dieser Hinsicht von dem generell langweiligen Wahlkampf nicht unterschieden. Besonders die kleinen Parteien jenseits von Union und SPD haben das Potential des Internets qualitativ nicht genutzt. Die sozialen Netzwerke wurden in ihren Funktionen nicht voll ausgeschöpft und eine Interaktion mit den Wählerinnen und Wählern fand kaum statt. Unter diesen Gesichtspunkten hat sich das Onlineverhalten bei der Europawahl 2014 kaum von der Bundestagswahl 2013 unterschieden. Qualitativ gibt es noch viel Luft nach oben.


Literatur:

Dolata, U. and Schrape, J.-F. 2014 'Kollektives Handeln im Internet. Eine akteurtheoretische Fundierung', Berliner Journal für Soziologie 24(1): 5-30. 
Elter, A. 2013 'Interaktion und Dialog? Eine quantitative Inhaltsanalyse der Aktivitäten deutscher Parteien bei Twitter und Facebook während der Landtagswahlkämpfe 2011', Publizistik 58(2): 201-220. 
Frommholz, G. H. and Hübner, C. 2013 Wahlkampf im Internet: Wie Kandidaten das Netz nutzen - Eine Studie zur Internetpräsenz der Direktkandidaten zur Bundestagswahl 2013, Berlin: d|part. 
Vonbun, R. and Schönbach, K. 2014 'Wer ist politisch aktiv im Social Web?', Publizistik: 1-14. 
Voss, K. 2014 'Internet & Partizipation – Einleitung', in K. Voss (ed) Internet und Partizipation: Springer Fachmedien Wiesbaden. 
Vowe, G. 2014 'Digital Citizens und Schweigende Mehrheit: Wie verändert sich die politische Beteiligung der Bürger durch das Internet? Ergebnisse einer kommunikationswissenschaftlichen Langzeitstudie', in K. Voss (ed) Internet und Partizipation: Springer Fachmedien Wiesbaden.



Autor:

Dr. Götz Harald Frommholz
Dr. Götz Harald Frommholz promovierte im Fach Soziologie an der University of Edinburgh und leitet heute den gemeinnützigen, unabhängigen und überparteilichen Think Tank d|part, der sich mit der Erforschung und Förderung politischer Partizipation auseinandersetzt. Außerdem ist er Dozent an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Als Forscher interessiert sich Götz Frommholz besonders für die Analyse von Motiven und Hemmschwellen politischer Partizipation.








1 Kommentar:

  1. Eine Ergänzung zu den kleinen Parteien. Hier nutzte die Partei das Internet am effektivsten. Der eine Sitz kommt nicht vom Programmpunkt Rotation oder dem Stören von CDU Veranstaltungen. Diese Aktionen wurden für eine Verbreitung in den Sozialen Medien erdacht und entfallteten erst dort ihre Wirkung.

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