Mittwoch, 20. Januar 2016

Warum Parteien & Politiker Petitionen nutzen sollten - Petitionsplattformen als politisches Werkzeug

Dies ist ein Gastbeitrag von Jörg Mitzlaff, Gründer und Gesellschafter von openPetition und Fritz Schadow, der als Kampagnenberater für die Plattform arbeitet.

Logo openPetition
Noch immer nutzen viel zu wenige PolitikerInnen die Chancen von Online-Petitionen und Petitionsplattformen für Ihre Arbeit. Längst etabliert sind Petitionen als Möglichkeit für BürgerInnen, ihrem Anliegen öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen und es auf die politische Tagesordnung zu setzen. Doch die gleichzeitig vorhandene Möglichkeit für gewählte Vertreter, mit BürgerInnen in Dialog zu treten und vor allem Menschen zu erreichen, die nicht wählen gehen und Parteipolitik gegenüber skeptisch sind, wird noch wenig genutzt. Zudem fehlte bisher eine wahlkreisgenaue Aufschlüsselung von Petitions-Unterschriften, um sichtbar zu machen, welche Themen und Anliegen den WählerInnen im Wahlkreis wichtig sind und wie sie ihre Prioritäten setzen.

Petitionen auch für PolitikerInnen zu einem wertvollen Werkzeug zu machen, ist ein Kernanliegen der Petitionsplattform openPetition. In diesem Artikel präsentieren wir, wie Abgeordnete die Plattform nutzen können.

Am Thema Interessierte erreichen


Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (bpb) - Bundeszentrale für politische Bildung
Quelle: Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/ (bpb)
Wenn PolitikerInnen BürgerInnen erreichen wollen, insbesondere “politikferne”, müssen sie mit ihnen über die Themen sprechen, die ihnen wichtig sind. Denn BürgerInnen interessieren sich zunehmend mehr für einzelne Themen als für Parteien und werden zu konkreten Entscheidungen viel eher aktiv als zu Wahlprogrammen. Das zeigt nicht zuletzt die seit den 80er Jahren kontinuierlich sinkende Beteiligung an Bundestags- und Landtagswahlen, bei den Landtagswahlen 2014 in Brandenburg und Sachsen fiel sie sogar auf unter 50 Prozent. Im Gegensatz dazu nimmt die Popularität von Online-Petitionen zu.

Für einen themenbezogenen Dialog bietet eine Petitionsplattform ideale Voraussetzungen. Dort sind mittels ihrer Unterschrift viele Menschen versammelt, die sich für ein bestimmtes Thema interessieren. Zugleich ist sichtbar, wie vielen das Thema wichtig ist, insbesondere auch im Vergleich zu anderen Themen. So wird eine Gewichtung möglich. Über Unterschriften hinaus bringt eine zeitgemäße Petitionsplattform Argumente, Wünsche, Befürchtungen, Ideen und Quellen zu einem Anliegen zusammen. Welche besseren Voraussetzungen kann es geben für einen gewählten Vertreter, als sich genau an dieser Stelle an seine interessierten Wähler zu wenden?

Infografik
Infografik: Visaualisierte Stellungnahmen zu einer Petition im Landtag Niedersachsen







Deshalb bietet openPetition Adressaten und Entscheidungsträgern von Petitionen die Möglichkeit, Stellungnahmen zum jeweiligen Anliegen zu veröffentlichen. Seit 2014 erfragen wir zusätzlich aktiv Stellungnahmenzu einer Petition von den gewählten Vertretern, wenn das Quorum erreicht ist. Diese Möglichkeit wird ausgiebig auf den unterschiedlichen Ebenen genutzt: Bundesland, Landkreis, Stadt, Gemeinde

Den Wahlkreis im Blick


Screenshot
Übersichtsseite Petitionen Landtagswahlkreis Mainz 1
Eine wahlkreisgenau Aufschlüsselung von Petitions-Unterschriften ist eine wertvolle Informationsquelle und Entscheidungshilfe für Abgeordnete. Sie zeigt nicht nur, welche Themen und Anliegen den WählerInnen vor Ort wichtig sind, sondern ermöglicht darüber hinaus eine Gewichtung zwischen lokalen, regionalen und überregionalen Anliegen. Dazu werden zusätzlich zu den Petitionen, die sich direkt auf den Wahlkreis beziehen, auch alle anderen betrachtet. So wird z.B. erkennbar, dass im Landtagswahlkreis Mainz I von den zehn am häufigsten im Wahlkreis unterzeichneten Petitionen die Hälfte ein bundesweites Anliegen haben, drei ein landesweites und nur zwei sich auf die Stadt Mainz beziehen.

Eine derartige Auswertung nach Wahlkreisen war bisher für keine Petitionsplattform in Deutschland verfügbar. Jetzt schließt openPetition diese Lücke. Für jeden Bundestags- und Landtagswahlkreis zeigt unsere Plattform:
  •  die Zahl der Unterschriften aus dem Wahlkreis für jede Petition
  •  die Abgeordneten auf Landes- und Bundesebene aus diesem Wahlkreis
  •  die Stellungnahmen von diesen Abgeordneten zu Petitionen

Neben der Wahlkreis-Übersicht für Entscheidungsträger entsteht ein Profil jedes Abgeordneten, das WählerInnen eine Entscheidungsgrundlage für Wahlen in die Hand gibt. Gegenüber der reinen Dokumentation des Abstimmungsverhaltens, wie z.B. beim Deutschen Bundestag, zeigen die Stellungnahmen auf openPetition nicht nur die Positionierung für oder gegen das Anliegen einer Petition, sondern auch eine ausführliche Begründung und Erläuterung dieser Position. Darin liegt für Abgeordnete die Chance, die eigene Positionierung besser nachvollziehbar zu machen.


Pioniere unter den Parteien


Einige Parteien haben bereits begonnen, das Potential von Online-Petitionen auszuloten. Die Auswertung der rund 100 Petitionen, die auf openPetition von Parteien oder Parteigruppierungen gestartet wurden, zeigt, wofür Online-Petitionen aktuell von der Politik genutzt werden. Drei Typen von Petenten lassen sich dabei unterscheiden:  

Typ 1: der Petent ist eine kleine Fraktion im jeweiligen Parlament (Landtag, Kreistag, Stadtrat, Gemeinderat), typischerweise die dritt- oder viertstärkste Fraktion.  
Typ 2: der Petent ist ein Kleinpartei oder eine neu gegründete Partei, die meist nicht im Parlament vertreten ist. 
Typ 3: der Petent ist die stärkste Gruppierung im Parlament. Die drei Typen nutzen Online-Petitionen unterschiedlich und für unterschiedliche Ziele:

Übertragung der Grazer Gemeinderatssitzungen ins Internet
Beispiel Typ 1-Petition
Petenten vom Typ “kleine Fraktion”, die etwa 40% der Fälle ausmachen, wenden sich oft - wenig überraschend - gegen ein Vorhaben der stärksten Fraktion in ihrem Parlament. Häufig sind auch Petitionen mit “Markenzeichen”-Anliegen der jeweiligen Partei, z.B. Umwelt schonende Mobilität bei den Grünen oder Datenschutz bei den Piraten. Meist haben diese Markenzeichen-Anliegen einen lokalen Bezug. Weitere typische Petitionen enthalten populäre Forderungen wie günstigerer Öffentlicher Personennahverkehr, die Einführung eines zusätzlichen Feiertags oder bessere Kita-Betreuung. Schließlich richten sich einige Petitionen gegen Entscheidungen oder Vorhaben, die auf höherer Ebene entschieden werden.

Abschaffung der GEZ-Gebühren
Beispiel: Typ 2-Petition
Petenten vom Typ “Kleinpartei/neue Partei”, die weitere 40% der Fälle ausmachen, starten am häufigsten “Markenzeichen”-Anliegen und populäre Forderungen. Im Gegensatz zu ähnlichen Petitionen von “kleinen Fraktionen” haben sie meist keinen lokalen Bezug. Von allen untersuchten Petitionen hatten diese mit Abstand die meisten Unterschriften.  Exemplarisch genannt sei die Forderung nach Abschaffung der GEZ und damit der GEZ-Gebühren sowie die Aufhebung des Glühbirnenverbots. Petitionen der Partei DIE PARTEI, die satirische Kommentare zu aktuellem Geschehen in Form von Petitionen erstellen, bilden eine eigene Variante von “Markenzeichen”-Petitionen. Wiederholt wollten neu gegründete Parteien mit Hilfe von Petitionen ihre Zulassung zu Wahlen unterstützen: Die Popularität und leichte Verbreitungsmöglichkeit von Online-Petitionen sollte genutzt werden, um an anderer Stelle die nötigen (handschriftlichen) Unterschriften zu erlangen, die für die Wahlzulassung erforderlich sind.

Erhalt DB-Servicestelle Rüdesheim am Rhein
Beispiel: Typ 3-Petition
Petenten vom Typ “stärkste Fraktion” waren deutlich seltener als die zuvor genannten. Ein Teil Ihrer Petitionen war nicht an Entscheidungsträger in der Politik gerichtet, sondern an Unternehmen wie die Deutsche Bahn AG oder die Deutsche Post AG und hatte dabei einen lokalen Bezug. Die restlichen Petitionen richteten sich an eine höhere politische Ebene, meist zu einer Entscheidung mit Auswirkungen vor Ort wie große Verkehrsprojekte. Häufig waren die Mehrheitsverhältnisse auf der höheren Ebene dabei andere als im Parlament des Petenten. Es gab jedoch auch den Fall, in dem sich ein kompletter Gemeinderat über alle Fraktionen hinweg einstimmig an den Landtag gerichtet hat.

Die wichtigsten Ziele von Petitionen von Parteien sind somit:

  • Unterstützung erhalten gegen ein Vorhaben von stärkeren Fraktionen, von Akteuren auf höherer Ebene oder von nicht-staatlichen Akteur
  • Das Profil der eigenen Partei schärfen und bekannter machen durch Markenzeichen-Anliegen mit lokalem Bezug
  • Aufmerksamkeit für die eigene Partei erzeugen mittels eines populären Anliegens, das alle betrifft
  • Zusätzlich als übergeordnetes Ziel: direkte Kommunikation mit Wählerinnen ermöglichen zu einem Thema, das ihnen wichtig ist

Fazit


Petitions-Plattformen können ein wertvolles Instrument für gewählte VertreterInnen sein. Dazu brauchen sie spezielle Funktionen, um den Bedürfnissen von Abgeordneten Rechnung zu tragen. Insbesondere ist ein Rückkanal zu den Unterzeichnern einer Petition notwendig, sowie eine Wahlkreis-Übersicht. So kann der alte Einbahnstraßen-Charakter von Petitionen überwunden und Petitionen zu einem Instrument für konstruktiven Dialog werden. openPetition entwickelt die dafür notwendigen Instrumente und stellt sie auf ihrer Petitionsplattform zur Verfügung. Wir laden Sie ein, sie auszuprobieren und freuen uns über Rückmeldungen und Hinweise zur Weiterentwicklung.

Autoren

Fritz Schadow
Fritz Schadow ist seit 2012 bei der Petitionsplattform openPetition für Online-Kommunikation und Kampagnenberatung zuständig. Zuvor arbeitete er bei Oxfam Deutschland zu Klimagerechtigkeit und engagierte sich in mehreren Umwelt- und Klimainitiativen. Er hat Englisch und Spanisch in Potsdam, Ciudad Real/Spanien und Monterrey/Mexiko studiert. 






Jörg Mitzlaff
Jörg Mitzlaff - studierte Informatik in Berlin und arbeitete als Software-Entwickler und IT-Manager u.a. bei Infoseek, eBay und idealo. Er engagierte sich bei Mehr Demokratie e.V. bevor er 2010 die Plattform openPetition aufbaute. Seit 2012 ist er Gesellschafter und Geschäftsführer der openPetition gemeinnützigen GmbH und ist zuständig für Produktentwicklung, Softwareentwicklung und Marketing und Vertrieb. 





2 Kommentare:

  1. Open Petition (OP) ist nicht perfekt. Es errechnet z.B. Phantasie-Quoren, anstatt daß die offiziellen Quoren zur öffentlichen Behandlung einer Petition angegeben werden könnten (z.B. Bundestag 50.000, OP schreibt 120.000 etc.). Auf die Bitte, dies in eienr konkreten Petition entsprechend zu korrigieren, reagiert OP nicht. Die Vorschläge zurr Gliederung sind nicht gut, weil das Petitum dabei nicht (analog e-Petitionen im Bundestag). an die erste Stelle gestellt wird.

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  2. Antwort Fritz Schadow von openPetition:

    Hallo Tilman,

    das Quorum bei openPetition hat eine andere Funktion als das Quorum des Petitionsausschusses des Bundestags, daher sind nicht gleich hoch. Beim Petitionsausschuss des Bundestags sind 50.000 Unterschriften erforderlich, damit der Petitionsausschuss über das Anliegen in einer öffentlichen Sitzung berät, auf der der Petent persönlich sein Anliegen vor den Abgeordneten des Petitionsausschusses vorbringen kann.

    Das openPetition-Quorum hingegen gibt an, wie viele Unterschriften nötig sind, damit openPetition von den zuständigen gewählten Vertretern eine Stellungnahme zur Petition einholt.

    Vereinfacht gesagt: das Quorum des Petitionsausschusses ermöglicht Zugang zu einem Ausschuss, das openPetition-Quorum ermöglicht Zugang zum gesamten Parlament. Daher erscheint uns ein höherer Wert angemessen.

    openPetition berechnet das Quorum für jede Petition, die sich auf eine konkrete Verwaltungsregion bezieht, z.B. ein Bundesland, Landkreis, Gemeindeverband oder eine Stadt. Für das Quorum zählen nur die Unterschriften aus der Region, auf die sich die Petition bezieht. Wir wir die Quoren berechnen, stellen wir hier vor: https://www.openpetition.de/blog/blog/2014/08/08/openpetition-bringt-petitionen-ins-parlament/

    Viele Grüße,

    Fritz Schadow, openPetition

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