Mittwoch, 21. August 2013

Warum Wahlprognosen mehr können als Umfragen - am Beispiel Hamburg-Mitte

Ein Gastbeitrag von Matthias Moehl, election.de

Nicht zuletzt aufgrund der Erfolge fortgeschrittener Wahlprognose-Methoden in den zahlenverliebten USA werden die klassischen Medien auch in Deutschland, mit Ausnahme des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, zunehmend aufgeschlossener gegenüber quantitativen und statistischen Ansätzen zur Vorhersage von Wahlergebnissen.

Screenshot elction.de
„Grau ist alle Theorie, entscheidend ist aufm Platz“ sagte einst der legendäre Fußballtrainer Adi Preißler. Und genau so verhält es sich mit der Demoskopie, denn stichprobenbasierte Umfragen mit ihren zahlreichen systematischen Fehlern und Ungenauigkeiten eignen sich streng genommen kaum zur Vorhersage von Wahlen. Neben einem starken Grundrauschen sind vor allem die Unentschlossenen, Unehrlichen und Unerreichbaren das große Problem. Dass dann trotzdem runde Zahlen herauskommen, die zusammen 100 Prozent ergeben und zumindest in der Nähe der späteren Wahlergebnisse liegen, verdanken die Demoskopen in Wahrheit  den „Gewichtungen“ und „Projektionen“, also Methoden der Sekundärforschung, die Zusatzinformationen über das Wahlverhalten mit berücksichtigen, weil sie eben nicht in einer Telefonbefragung gemessen werden können.

Dennoch beharren die für ARD und ZDF tätigen Institute darauf, vor den Wahlen keine Prognose abzugeben und nach jüngsten Aussagen ist dies zumindest bei infratest dimap auch in den nächsten Jahren nicht geplant. Dass aber durchaus großer Bedarf nach dem „Vorherwissen“ besteht - denn das bedeutet Prognose dem Wortsinne nach – zeigen die vielen Anfragen bei election.de. Eigentlich ist das wenig erstaunlich, denn am Wahlabend um 18 Uhr bringt eine Prognose schließlich keiner Kandidatin und keinem Journalisten mehr einen Mehrwert.

Wikimedia Commons
Bundestagswahlkreis 18 Hamburg-Mitte
Als Beispiel für eine Wahlkreisprognose sei der Bundestagswahlkreis Hamburg-Mitte betrachtet, der etwas mehr als den Bezirk Mitte umfasst. Zunächst einmal ist die Wahlhistorie im Wahlkreis entscheidend, also das Wahlverhalten der vergangenen Jahre oder sogar Jahrzehnte. Strukturen und Traditionen sind wichtig, denn Wahlen fangen eben nicht jedes Mal  wieder bei Null an. So ist Hamburg trotz der CDU-Erfolge bei den Bürgerschaftswahlen 2004 und 2008 traditionell eine SPD-Hochburg. Noch mehr gilt dies für den Wahlkreis Hamburg-Mitte, der zwischen 1998 und 2005 SPD-Zweitstimmenergebnisse von 50, 46 und 42 Prozent verzeichnete, während die CDU nicht einmal 30 Prozent erreichte. Erst 2009 wurde mit 28.2 zu 23.7 Prozent der Vorsprung der SPD vor der CDU deutlich dünner.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist das Stimmensplitting, denn mit zuletzt 16.6 Prozent der Zweitstimmen haben die Wählerinnen und Wähler der GRÜNEN einiges Gewicht. Die unterschiedliche Abgabe der Erst- und Zweitstimmen aus taktischen oder praktischen Gründen, weil kleine Parteien kaum Chancen auf den Sieg im Wahlkreis haben, ist statistisch sehr gut erfassbar und wird bei jeder Wahl offiziell ausgewertet. Das Ergebnis zeigt, wie viele von den Zweitstimmen-Wählern einer Parte mit der Erststimme dieselbe oder eine der anderen Parteien wählen.

Faktor Nummer drei sind die Kandidaten selbst: So ist beispielsweise der langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete Johannes Kahrs als Sprecher des Seeheimer Kreises bundesweit eine prominente Figur, aber auch in Hamburg-Mitte fest verankert und gut vernetzt . Er kann damit rechnen, wie schon zuvor einige zusätzliche Erststimmen zu erhalten.

Der vierte Faktor sind regionale Trends. Hier spricht einiges dafür, dass in Hamburg nach dem desaströsen Abschneiden der CDU und dem Triumph der SPD bei der Bürgerschaftswahl noch ein kleiner Extra-Vorteil für die Sozialdemokraten besteht.

Schließlich kommen die klassischen Umfragen ins Spiel, denn sie können kurzfristige Stimmungen und vor allem die Stärke der „Blöcke“, also Schwarz-Gelb oder Rot-Grün recht gut messen. Wohin das Pendel bei dieser Wahl ausschlagen wird, wird zumindest in der Tendenz deutlich.

Wahlkreis 18
Wahlkreisprognose für Hamburg-Mitte von election.de
Für den Wahlkreis Hamburg-Mitte sagt election.de nach Abwägung aller Faktoren derzeit voraus, dass Johannes Kahrs (SPD) mit 37 Prozent klar vor Dirk Marx (CDU) landen wird, der es auf 26 Prozent bringt. Katharina Fegebank (GRÜNE) kommt auf 16 Prozent, alle anderen bleiben unter zehn Prozent.

Mit den Wahlkreisprognosen konnte election.de bereits vor zahlreichen Bundestags- und Landtagswahlen treffsichere Vorhersagen liefern. So wurde im Januar 2013 in Niedersachsen vor der Wahl exakt das Verhältnis von 54 zu 33 Wahlkreisen zugunsten der CDU vorhergesagt. In 77 der 87 Wahlkreise trat das prognostizierte Ergebnis ein, darunter in allen 20 „sicher“ bezeichneten und in 26 der 27 Wahlkreise der Kategorie „wahrscheinlich“. Aber auch 31 der 40 als „knapp“ gesehenen Wahlkreise wurden so entschieden, wie es die Prognose voraussagte.
Weitere Informationen und aktuelle Prognosen unter www.election.de


Autor: 
 

Passfoto Moehl
Matthias Moehl ist ursprünglich Informatiker, beschäftigt sich aber schon
lange mit Wahlergebnissen und statistischen Analysen. Gestützt auf eine
umfangreiche Datenbasis zu allen Wahlen in Deutschland seit 1945 mit über
150 000 Einzelergebnissen entwickelt das election.de-Team unter anderem
Prognosen auf Wahlkreisebene für Medien und lokale Kandidaten.








Bildnachweis:

Karte Bundestagswahlkreis Hamburg-Mitte: By © Bundeswahlleiter, Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2012, Wahlkreiskarte für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag Grundlage der Geoinformationen © Geobasis-DE / BKG (2011) [Public domain], via Wikimedia Commons

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